Dok. 11-040

Erwin Garvens vermerkt in seinem Tagebuch im Juni 1943, dass sich das Ehepaar Lippmann in Hamburg das Leben genommen hat

In der friedlichen Umgebung und bei der himmlischen Ruhe

In der friedlichen Umgebung und bei der himmlischen Ruhe

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Dr. Leo Lippmann (1881–1943), Jurist; 1906-1933 im hamburg. Staatsdienst, 1921 Staatsrat und Präsidialmitglied der Finanzdeputation, 1933 entlassen; 1935–1943 im Vorstand der Jüdischen Gemeinde, Autor u.a. von „Mein Leben und meine amtliche Tätigkeit“, hrsg. von Werner Jochmann (1964).

 

Anna Lippmann, geb. von der Porten (1881–1943); siehe auch Dok. 234 vom 27.4./12.5.1945. Die frei gewordene Wohnung der Lippmanns bezog ein Beamter des Oberfinanzpräsidiums.

 

Dr. Erwin Garvens (1883–1969), Jurist und Schriftsteller; von 1926 an Direktor des Rechnungsamts in Hamburg, 1934 Zwangspensionierung; 1942–1944 als Vertreter eines Notars tätig; 1945/46 kurzzeitig wieder im Rechnungsprüfungsamt beschäftigt.

Skript

In der friedlichen Umgebung und bei der himmlischen Ruhe da draußen konnte man wirklich ein wenig den Krieg und alle die Greuel der gegenwärtigen Zeit vergessen. Die wurden uns dafür denn auch am Sonnabend, 12. Juni, wieder grausam zum Bewußtsein gebracht, indem uns sich morgens die Nachricht verdichtete, daß schon tags zuvor Lippmanns ihre seit langem geplante Absicht in die Tat umgesetzt hatten. Am Donnerstag ist der Leitung der Gemeinde eröffnet worden, daß nunmehr sämtliche jüdischen Organisationen aufgelöst seien und nun auch der Rest der noch hier befindlichen Mitglieder der Gemeinde einschließlich der Leitung am 23. Juni nach Theresienstadt abtransportiert würde. Da haben sie dann beide die Konsequenzen gezogen. Wir hatten es nach ihren Andeutungen ja immer erwartet – die Tatsache erschütterte uns beide nicht minder, vor allem aber das Bewußtsein, daß schließlich doch das ganze Volk an diesen aller Kultur Hohn sprechenden Dingen mitschuldig ist, weil es dem blinden Fanatismus aus Angst und Stumpfheit nicht in den Arm zu fallen gewagt hat. Ich finde das viel schlimmer als die von manchen Menschen gehegte Angst vor Rache und Vergeltung. Mit recht geteilten Gefühlen gingen wir infolgedessen auch an die Pfingstfeiertage heran. Nach dem herrlichen Freitag und weil die Tage ja dies Jahr besonders spät fielen, hatte man zum mindesten auf gutes Wetter gehofft, um vielleicht ein beschauliches Dasein auf der Loggia fristen zu können. Aber auch das enttäuschte, ebenso die erhoffte Ruhe aus der Luft, im Gegenteil: schon morgens früh gab es Voralarm und gegen 10 Uhr richtigen; die Angriffe richteten sich mit erheblichen Schäden gegen Bremen und Kiel. Eine herrliche Pfingstüberraschung! Zum Tee kommen Jan und Bertha, die uns noch einige Details über Lippmanns mitteilen konnten, das Wesentliche hatten wir freilich auch schon von anderer Seite in Erfahrung gebracht.