Dok. 08-118

Khidekel Nakhame Avseevna flüchtet im Juni 1942 vor der Massenerschießung in Sharkovshtshizne

Vom 1.6. des Jahres 1942 bis zum 18.6. erleben wir eine Periode von Massakern

Vom 1.6. des Jahres 1942 bis zum 18.6. erleben wir eine Periode von Massakern

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
Personen

Khidekel Nakhame Avseevna, Autorin dieser Aufzeichnungen; ist es im Sommer 1942 gelungen, nach Wilna zu fliehen, wo sie ihre Erlebnisse für das dortige Gettoarchiv von Abraham Sutzkever und Szmerke Kaczerginski festhielt.

 

Hershl Berran Möglicherweise Girsha Berchon (1900–1942).

Skript

Handschriftliche Aufzeichnungen

Das Massaker von Sharkovshtshizne

 

Vom 1.6. des Jahres 1942 bis zum 18.6. erleben wir eine Periode von Massakern in den umliegenden kleinen Städten unserer Gegend. Mittwoch, den 17.6. kommt ein deutscher Gendarm aus Glubok angefahren. Wie gewöhnlich geht er zum Judenrat und gibt eine Bestellung für ein paar Ballen Stoff für Anzüge, Leder und einige weitere Dinge auf. Bis Freitag soll man es für ihn bereit stellen. Der Judenrat ist zufrieden, dass man bis Freitag noch Hoffnung hat und sich erst später wieder Sorgen machen muss. Während einer Unterhaltung mit dem Vorsitzenden erzählt der deutsche Gendarm dem Vorsitzenden des Judenrats die Geschichte, dass er morgen früh einen falschen Alarm mit der polnischen Polizei durchführen will, um deren Fähigkeit zu testen, ein Getto abzuriegeln. Die Juden können vollkommen ruhig sein, da ihnen nichts Schlimmes passieren wird. Nun, das Spiel ist klar. Das Getto wartet. Ein paar polnische Polizisten sitzen in Hershl Berrans Wohnung, betrinken sich und spielen Karten. Das war vorher nie passiert.

Um drei Uhr nachts gehen sie von dort weg. Das Schicksal aller hängt an der Polizei-Wache. Man sieht, wie der Gendarm ins Wachlokal geht. Die Frauen mit Kindern auf den Armen laufen auf das Feld. Im Getto herrscht große Panik. Man rennt hin und her, manche zum Judenrat, andere planlos. Hershl Berran, ein Mitglied des Judenrats, sowie einige jüdische Polizisten mit Schlagstöcken in den Händen, wollen die Ordnung aufrechterhalten, d.h. das Getto vorerst nicht provozieren, weil möglicherweise nichts Böses passieren wird. Die Menschen folgen nicht. Wer kann, schlägt sich durch und läuft zum Feld. Um vier Uhr sieht man, wie die Polizisten aus dem Wachlokal herauskommen, und sofort sind Schüsse zu hören. Jetzt sind die Leute vom Judenrat überzeugt, dass dies kein herkömmlicher Spaß ist, sondern der echte blutige Spaß. Und dieselben, die eben noch Ordnung hielten, riefen jetzt:

Juden, rettet euch!!! Lauft!!!

Und es ist ein Laufen, ein Jammern, Geschrei von kleinen Kindern, von Frauen, die die Hände ringen und schreien: Herr der Welt! Wieso haben wir in Deinen Augen mehr gesündigt als alle anderen Völker. Aber die einzige Antwort auf ihr Geschrei sind Gewehrschüsse der aufgebrachten, wütenden, betrunkenen Polizisten auf eine der Mütter. Ich laufe mit meiner Mutter und meinen beiden Schwestern Fayge und Frumke hinten aus dem Städtchen hinaus. Neben einem Roggenfeld bleiben wir erschöpft stehen und haben keine Kraft mehr zu laufen.

Da hörten wir Autolärm und Rattern von Maschinengewehren. Wir begriffen, dass dort die Ehrengäste dieses Festes fuhren, der SD und fingen mit aller Kraft wieder an zu laufen. So liefen wir zwei Tage am Stück, irrten durch Wälder und Felder, weil man sich hüten musste, gesehen zu werden. Jeder kleine Hirte konnte uns an unsere Feinde ausliefern. Am Freitagabend kamen wir in Kosjon bei unserem Bruder Avrom-Yankev an, den wir aber nicht im Stetl antrafen.

Alle dortigen Juden waren rechtzeitig geflohen. Manche zu Bauern, andere in die Wälder, von denen das Städtchen umgeben ist. Geblieben waren nur die jungen Leute, die Waffen hatten und entschlossen waren, ein paar Deutsche zu erschießen und danach zu fliehen. Möge es ihnen gelingen!