Bericht der Kanzlei des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik, London
Nachrichten aus der Heimat
Die Deutschen
[…] In den breiten Schichten herrscht eine solche Stimmung, dass nach dem Zusammenbruch kaum ein Deutscher mit dem Leben davonkommen wird. Nichtsdestotrotz ist sich die Mehrheit bewusst, dass auch dann immer noch genügend Deutsche übrigbleiben. Wenn man mit den Leuten über solche Dinge spricht, heißt es, die Reichsdeutschen würden fliehen, und zwar so schnell wie möglich. Ihnen müssten jedoch sofort diejenigen folgen, die sich früher als Tschechen verstanden hatten, sich dann aber, nachdem sie eine wie auch immer entfernte deutsche Abstammung entdeckt hatten, den Deutschen anschlossen. Darüber hinaus wird häufig die Kategorie der aktiven Nazis genannt, ferner diejenigen, die dem Nazismus freiwillig und begeistert gefolgt sind, und schließlich jene, die sich dazu gezwungen sahen und keine andere Wahl hatten. Das sind jedoch vergleichsweise wenige. […]
Die Judenfrage
Im Volk herrscht keine hasserfüllte Abneigung gegen die Juden, da mögen die Deutschen tun, was sie wollen. Vielmehr ist ein gewisses Mitleid mit ihnen zu beobachten. Wenn die bisherige Entwicklung anhält, wird es in einem Jahr bei uns kaum noch Juden geben, und die übriggebliebenen werden zu Bettlern. Ihr Vermögen wird von den Deutschen verbraucht worden sein, ihre Immobilien werden sich mehrheitlich in den Händen deutscher Banken befinden. Vom jüdischen Eigentum gelangte nichts oder nur verschwindend wenig in tschechische Hände.
In Prag leben inzwischen 90 000 Juden […], früher waren es 40 000. Alle Juden aus dem Sudetenland und dem Protektorat sind dort zusammengeströmt. Selbstverständlich heißen unsere Leute die grausame Verfolgung der Juden nicht gut. Doch es ist damit zu rechnen, dass diese nach dem Krieg nicht mehr in ihre ehemaligen Positionen zurückkehren werden. Die Propaganda, die Juden hätten [den übrigen Tschechen] bislang alle einflussreichen Stellen weggenommen, hat auch in eher unvoreingenommenen Kreisen ihre Wirkung getan, und man muss sie ernst nehmen. […]