Dok. 16-174

Arthur Simon Trautmann verlässt am 19. Januar 1945 Auschwitz

Die Abtransporte begannen, wohin wußte niemand

Die Abtransporte begannen, wohin wußte niemand

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Arthur Simon Trautmann (1892–1977), Handelsvertreter; arbeitete im Ledergroßhandel in Karlsruhe, nach dem Novemberpogrom 1938 vier Wochen in Dachau interniert, wurde im Okt. 1940 im Rahmen der Judendeportationen aus Baden und der Saarpfalz in das Lager Gurs gebracht, im März 1942 nach Rivesaltes, im Aug. 1942 über Drancy nach Auschwitz, im Jan. 1945 Räumungstransport nach Dachau; emigrierte 1946 nach New York.

Skript

Bericht von Arthur Simon Trautmann, Karlsruhe, vom Sommer 1945

 

Die Abtransporte begannen, wohin wußte niemand. Täglich wurden bis zu 10 000 Menschen evakuiert.

Der Marsch ging nun unter Begleitung der Auschwitzer SS-Wachposten die Nacht durch bei grimmiger Kälte und eisigem Schneesturm über die waldreichen Beskiden. Und schon hatte der Kampf ums Leben wieder von neuem begonnen. Viele meiner Bekannten, die nicht mitkamen und sich aus Müdigkeit niedersetzten, wurden ohne weiteres von einem SS-Scharführer, der eine MP umgehängt trug, niedergeschossen. Alle 10 Minuten hörte man in der dunklen Nacht und dem grausigen Wald einen Schuß fallen. 3 Tage und 3 Nächte sind wir mit ganz kurzer Unterbrechung durchmarschiert. Auf einer Höhe bei Pless in Oberschlesien wurde in der Sonne gerastet. Der mitgenommene Marschproviant war eingefroren, das Brot konnte man kaum essen. Trotzdem hatte ich nicht das Geringste – wie viele es unterwegs schon taten, weil ihnen die Last zu schwer wurde – weggeworfen. Da lagen Brote, Decken, Rucksäcke usw. auf dem ganzen Weg zerstreut am Boden. Der Marsch ging nach 4stündiger Ruhepause abends um 7 Uhr in die Nacht hinein weiter. Unterwegs trafen wir eine Kolonne Frauen, die, von Birkenau kommend, schon vor uns abgerückt waren und auch ausruhten. Ich möchte nicht untersuchen, wie viele von den ermüdeten Geschöpfen nicht mehr am Ziel ankamen. – Wir marschierten unter Zurücklassung vieler, die nicht mehr konnten und tot liegen blieben, weiter, bis wir am Bahnhof Loslau ankamen. Meinen Kollegen von der DAW (Deutsche Aufrüstungswerke) Halle, der auch nicht mehr gehen konnte, ein 28jähriger Bursche aus Paris, führte ich am Arm. Bis nach Loslau konnte ich ihn retten. Beim Einsteigen in die bereitgestellten offenen Wagen habe ich ihn verloren und nicht wiedergesehen. Der Bahnhof wurde umstellt. Ausrücken konnte keiner. Abends ging der Zug in Richtung Breslau ab. Zu essen gab es nichts.

Wer noch Brot hatte, mußte dieses mit dem Löffel essen, weil es nur als Krümel genossen werden konnte, so durchgefroren war es.
In dem mir von Auschwitz her bekannten Lager Groß-Rosen, unweit Breslau, wurde Halt gemacht. Hier war das sogenannte Ausweichlager für die östlich gelegenen und nach und nach geräumten KZs.