Dok. 16-139

Salmen Gradowski fordert die Nachwelt am 6. September 1944 auf, in Birkenau nach vergrabenen Häftlingsberichten zu suchen

Ich schrieb dies, während ich mich im Sonderkommando

Ich schrieb dies, während ich mich im Sonderkommando

Orte
  •  
  •  
Personen

Salmen Gradowski (zwischen 1908 und 1910–1944), Handelsangestellter in Suwałki; nach 1941 im Getto Łunna (heute Weißrussland), im Nov. 1942 in das Durchgangslager Kiełbasin bei Grodno und im Dez. 1942 von dort nach Auschwitz deportiert, zur Arbeit im Sonderkommando ausgewählt, beteiligt an der Aufstandsplanung im Sonderkommando; kam während des Aufstands ums Leben.

Skript

Brief von Salmen Gradowski, Auschwitz

 

Ich schrieb dies, während ich mich im Sonderkommando befand. Man hatte mich aus dem Lager Kiełbasin bei Grodno hergebracht.


Ich möchte diese sowie auch zahlreiche andere Aufzeichnungen der zukünftigen Welt des Friedens als Erinnerung hinterlassen, damit sie erfährt, was hier geschehen ist. Ich habe sie unter Asche vergraben, da ich dies für den sichersten Ort halte. Dort wird man bestimmt graben, um die Spuren von Millionen getöteter Menschen zu finden.

Aber in der letzten Zeit haben sie begonnen, die Spuren zu verwischen – und überall dort, wo es viel Asche gab, haben sie befohlen, sie fein zu zermahlen, zur Weichsel zu bringen und von der Strömung forttreiben zu lassen.
Wir haben viele Gruben geöffnet. Im Moment befinden sich zwei solcher offenen Gruben auf dem Gelände von Krematorium 1 und 2.

Einige Gruben sind noch voller Asche. Es ist möglich, dass sie sie vergessen oder selbst vor ihren Vorgesetzten verheimlicht haben, denn die Anordnung lautete eigentlich, alle Spuren so schnell wie möglich zu verwischen. Indem sie diesem Befehl nicht rechtzeitig Folge leisteten, haben sie es verheimlicht.

Aus diesem Grund sind noch zwei große Gruben mit Asche auf dem Gelände von Krematorium 1 und 2 vorhanden. Eine Menge Asche von verbrannten Leichen Hunderttausender Juden, Russen und Polen wurde auf dem Gelände der Krematorien verstreut und untergepflügt.

Bei den Krematorien 3 und 4 befindet sich auch etwas Asche. Dort wurde sie gleich zermahlen und zur Weichsel gebracht, denn der gesamte Platz wurde für die Verbrennung genutzt.


Das Notizbuch sowie andere Notizen lagen in den Gruben, sie saugten Blut von nicht immer ganz verbrannten Knochen und Fleisch auf. Man kann diesen Geruch gleich erkennen. Lieber Finder, suche überall, auf jedem Zollbreit Erde. Es sind Dutzende Dokumente vergraben, von mir und von anderen, die ein Licht auf alles werfen, was hier geschehen ist. Auch eine Menge Zähne sind hier vergraben. Die haben wir, die Arbeiter der Kommandos, absichtlich verteilt, so viel wir konnten, damit die Welt Lebenszeichen der Millionen Getöteten finden kann. Wir selbst haben schon die Hoffnung aufgegeben, den Augenblick der Befreiung noch zu erleben. Trotz der guten Nachrichten, die zu uns dringen, sehen wir, dass die Welt den Barbaren die Möglichkeit lässt, in riesigem Ausmaß den letzten Rest des jüdischen Volks zu vernichten und mit den Wurzeln auszureißen. Es entsteht der Eindruck, dass die alliierten Staaten, die Gewinner der Welt, auf indirekte Weise zufrieden sind mit dem schrecklichen Schicksal unseres Volks. Vor unseren Augen kommen jetzt Zehntausende Juden aus Tschechien und der Slowakei ums Leben. Diese Juden hätten wahrscheinlich die Freiheit erwarten können. Aber wo auch den Barbaren Gefahr droht und sie fortgehen müssen, nehmen sie den Rest der noch am Leben gebliebenen Juden mit und bringen sie nach Birkenau-Auschwitz oder nach Stutthof bei Danzig – das erfuhren wir von Leuten, die von dort zu uns kamen.

Wir, das Sonderkommando, wollten schon seit langem unserer grausamen, schrecklichen Arbeit ein Ende bereiten, zu der wir unter Todesdrohungen gezwungen werden. Wir wollten ein große Sache vollbringen. Aber die Menschen aus dem Lager, ein Teil der Juden, Russen und Polen, hielten uns mit aller Kraft davon zurück und zwangen uns, den Termin des Aufstands hinauszuschieben. Dieser Tag ist nahe. Es kann heute oder morgen geschehen. Ich schreibe diese Worte im Augenblick der größten Gefahr und Aufgeregtheit. Möge die Zukunft über uns anhand meiner Aufzeichnungen urteilen, und möge die Welt wenigstens einen Tropfen, ein Minimum dieser schauerlichen, tragischen Totenwelt, in der wir lebten, erblicken.