Dok. 16-126

Benjamin Akzin, Vertreter des War Refugee Board, betont am 29. Juni 1944, dass es grausam wäre, Auschwitz nicht zu bombardieren

Im Fernschreiben vom 21. Juni aus Bern, das von der Deportation

Im Fernschreiben vom 21. Juni aus Bern, das von der Deportation

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Benjamin Akzin (1904–1985), Jurist; aufgewachsen in Riga, Studium in Wien und Paris, in den 1930er-Jahren in die USA ausgewandert, 1936–1941 Aktivist der New Zionist Organisation, 1944 Mitglied des War Refugee Board; 1949 Auswanderung nach Israel, Professor für Politik und Verfassungsrecht in Jerusalem, Mitgründer und erster Rektor der Universität Haifa.

 

Lawrence S. Lesser (1907–1979), Jurist; Staatsanwalt in New York City, von 1937 an Tätigkeit in der Securities and Exchange Commission, danach im Treasury Department, von 1944 an Mitglied im Executive Office of the President des War Refugee Board; nach dem Krieg Rechtsanwalt.

 

Roswell McClelland (1914–1995), Diplomat; 1944/45 Vertreter des War Refugee Board in Genf; 1945–1949 Mitarbeiter der US-Gesandtschaft in Bern, 1949–1953 im State Department, danach als Diplomat in Spanien, Senegal, Rhodesien, US-Botschafter in Griechenland und Niger.

Skript

Schreiben an Lawrence S. Lesser, Executive Office of the President, War Refugee Board, Interoffice, Communication

 

Im Fernschreiben vom 21. Juni aus Bern, das von der Deportation und Vernichtung der ungarischen Juden berichtet, stellt McClelland fest, dass „kaum Zweifel darüber besteht, dass viele der ungarischen Juden in die Vernichtungslager von Auschwitz (Oświęcim) und Birkenau (Rajsko) im westlichen Oberschlesien verbracht worden sind, wo neueren Berichten zufolge seit Frühsommer 1942 mindestens 1 500 000 Juden ermordet worden sind. Es gibt Belege, dass bereits im Januar 1944 Vorbereitungen getroffen wurden, um die ungarischen Juden dort aufzunehmen und umzubringen.“ Angesichts der herausragenden Rolle, die diese beiden Vernichtungslager, die dafür ausgerüstet sind, monatlich 125 000 Menschen zu töten, bei der Ermordung der Juden spielen, sollte man davon ausgehen, dass die Zerstörung der baulichen Anlagen das systematische Abschlachten zumindest für eine Weile merklich aufhalten könnte. Die Deutschen würden aufgrund ihres planerischen Vorgehens einige Zeit benötigen, um die Einrichtungen neu aufzubauen oder anderswo ähnlich effiziente Verfahren für den Massenmord und die Beseitigung der Leichen zu entwickeln. Die Zerstörung der beiden Vernichtungslager könnte also zumindest eine gewisse Anzahl von Menschenleben retten. Ohne übertriebene Hoffnungen wecken zu wollen, könnte das sogar in einem nennenswerten Ausmaß gelingen, da die Deutschen im gegenwärtigen Stadium des Kriegs über deutlich weniger Arbeitskräfte und materielle Ressourcen verfügen und die zuständigen Stellen nicht mehr in der Lage sein dürften, neue Vernichtungszentren mit vergleichbarer Kapazität aufzubauen.

Neben der präventiven Bedeutung, die die Zerstörung der beiden Lager hätte, ist dies auch aus prinzipiellen Erwägungen ins Auge zu fassen, weil sie unserer Entrüstung über die bloße Existenz dieser Leichenhäuser einen spürbaren – und vielleicht den einzigen spürbaren – Ausdruck verliehe. Es ist außerdem davon auszugehen, dass die Zerstörung der Vernichtungslager voraussichtlich auch den Tod vieler Angehöriger des Lagerpersonals fordern würde, darunter mit Sicherheit die ruchlosesten und verabscheuungswürdigsten Nazis.

Wir schlagen vor, den entsprechenden politischen und militärischen Stellen die obigen Überlegungen zur Kenntnis zu bringen und die Machbarkeit einer weitgehenden Zerstörung der beiden Lager durch ein Bombardement aus der Luft zu prüfen. Es mag in diesem Zusammenhang von Interesse sein, dass beide Lager in der Industrieregion Oberschlesiens liegen. In der Nähe befinden sich wichtige Bergbaureviere und Zentren von verarbeitender Industrie in Katowice und Chorzów (Oświęcim befindet sich etwa 22 km südöstlich von Katowice), die eine wichtige Rolle für die deutsche Rüstungsproduktion spielen. Die Zerstörung der Lager könnte also erfolgen, ohne Luftstreitkräfte aus einer Zone wichtiger militärischer Angriffsziele abzuziehen.

Aller Voraussicht nach würde bei einem derartigen Bombenangriff ebenfalls eine große Zahl von inhaftierten Juden getötet werden (obwohl einigen aufgrund des entstehenden Durcheinanders auch die Flucht gelingen könnte). Doch die Juden dort sind ohnehin zum Tode verurteilt. Die Zerstörung der Lager würde zwar nichts an ihrem Schicksal ändern, aber sie könnte als sichtbares Zeichen der Bestrafung ihrer Mörder dienen und das Leben zukünftiger Opfer retten.

Es ist anzumerken, dass die in Gettos in der Nähe von Industrie- und Eisenbahneinrichtungen in Ungarn zusammengepferchten Juden, deren Schicksal ebenfalls unausweichlich war, für die Alliierten kein Grund gewesen sind, mit dem Bombardement dieser Anlagen aufzuhören. Deshalb erachten wir es als völlig deplatzierte Sentimentalität, von einer Bombardierung der Vernichtungslager Abstand zu nehmen, was weitaus grausamer wäre als der Entschluss, diese Zentren zu zerstören.