Dok. 16-119

Czesław Mordowicz und Arnošt Rosin bestätigen nach ihrer Flucht aus Auschwitz Mitte Juni 1944 die Berichte über die Ermordung der Juden aus Ungarn

Nach der Flucht von zwei slowakischen Juden aus Birkenau

Nach der Flucht von zwei slowakischen Juden aus Birkenau

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Czesław Mordowicz (*1919); geboren in Mława, im Dez. 1942 aus dem Getto in Płonsknach Auschwitz deportiert, von dort am 27.5.1944 zusammen mit Rosin in die Slowakei geflohen, im Okt. 1944 in Bratislava verhaftet und erneut nach Auschwitz gebracht, Überstellung in das Groß-Rosener Außenlager Friedland, dort befreit; nach 1945 zunächst in Bratislava, 1965 nach Israel, später nach Kanada emigriert.

 

Arnošt Rosin (1913–2000), Verkäufer, Arbeiter; im April 1942 mit den ersten Transporten slowak. Juden aus Žilina nach Auschwitz deportiert, dort am 27.5.1944 zusammen mit Czesław Mordowicz geflohen; nach dem Krieg Arbeit beim tschechoslowak. Fernsehen in Bratislava; 1968 Emigration in die Bundesrepublik Deutschland, wohnte in Düsseldorf.

 

Alfréd Wetzler, später Jozef Lánik (1918–1988), Arbeiter; im April 1942 aus dem Sammellager Sered nach Auschwitz deportiert, Schreiber im Block 7, im April 1944 Flucht aus Auschwitz; arbeitete nach dem Krieg als Redakteur in Bratislava sowie in der Landwirtschaft.

 

Walter Rosenberg, später Dr. Rudolf Vrba (1924–2006), Chemiker; am 16.6.1942 aus dem Sammellager Nováky in das KZ Lublin-Majdanek deportiert, von dort Ende Juni 1942 nach Auschwitz, Einsatz in „Kanada I und II“ und als Schreiber in Birkenau, April 1944 Flucht; nach dem Krieg studierte er Chemie und Biochemie in Prag, emigrierte 1958 nach Israel, von 1976 an Professor für Pharmakologie an der University of British Columbia in Vancouver.

Skript

Bericht notiert in Lipovský Mikuláš, Slowakei

 

Nach der Flucht von zwei slowakischen Juden aus Birkenau am 7. April 1944 herrschte im Lager große Aufregung. Die Politische Abteilung begann ausgedehnte Untersuchungen; Freunde und Vorgesetzte der Flüchtigen wurden genauestens verhört, wenngleich ergebnislos. Da beide die Funktion eines Blockschreibers innehatten, wurden sämtliche Juden zur Strafe und als Vorsichtsmaßnahme aus dieser Funktion entfernt. Da die Gestapo zu Recht annahm, dass die Flucht über den Bausektor Nr. 35 erfolgt war, wurde dort die Postenkette wesentlich verkürzt, die nun in der Mitte des Geländes verläuft.

Zu Beginn des Monats April kam ein Transport griechischer Juden, von denen 200 ins Lager aufgenommen wurden, während die übrigen ca. 1500 sofort vergast wurden.

 

Zwischen dem 10. und 15. April kamen etwa 5000 „Arier“, vornehmlich Polen, in Birkenau an, die zusammen mit 2000 bis 3000 Frauen aus dem aufgelösten Lager Lublin-Majdanek stammten. Sie erhielten Nummern im Bereich 176 000 bis 181 000. Unter den Frauen waren etwa 300 polnische Jüdinnen. Die meisten Neuankömmlinge waren krank, geschwächt und sehr heruntergekommen. Nach ihren Informationen sind die Gesunden von Lublin in deutsche Konzentrationslager gebracht worden. Bezüglich des Schicksals der im Lager Lublin-Majdanek festgehaltenen Juden erfuhren wir von ihnen, insbesondere von den jüdischen Mädchen, dass am 3. November 1943 alle Juden in diesem Lager, ungefähr 11 000 Männer und 6000 Frauen, ermordet worden waren. Wir erinnerten uns daran, dass zu dieser Zeit die SS-Männer in Birkenau davon berichteten, dass Lublin von Partisanen angegriffen worden sei, zu deren Bekämpfung ein Teil der SS-Mannschaften aus Birkenau zeitweise nach Lublin verlegt worden war. Jetzt wurde uns klar, weshalb die SS nach Lublin gefahren war. Die Juden mussten einen langen und tiefen Graben in Feld V des Lagers Majdanek ausheben. Am 3. November wurden sie in Gruppen von 200 bis 300 Personen dorthin geführt, erschossen und in die Gräben geworfen. Innerhalb von 24 Stunden war alles vorbei. Während des Massenmords spielte laut Musik, um die Schüsse zu übertönen. 300 Mädchen, die im Aufräumkommando oder als Schreiberinnen eingesetzt gewesen waren, wurden am Leben gelassen. Drei Tage nach ihrer Ankunft in Birkenau wurden sie auf speziellen Befehl aus Berlin vergast und verbrannt. Durch ein Versehen des Schreibers wurden zwei Mädchen nicht in die Gaskammern geschickt. Als das am nächsten Tag, wie auch immer, festgestellt wurde, wurden beide Mädchen erschossen und der Schreiber aus seiner Funktion entfernt. Das Schicksal der Juden aus Lublin rief eine tiefe Depression bei den Juden in Birkenau hervor, die nun fürchteten, dass ganz Birkenau eines Tages auf die gleiche Weise plötzlich „liquidiert“ werden würde.

 

Ca. Nr. 182 000: Ende April wurden weitere Juden aus Griechenland nach Birkenau gebracht. Ungefähr 200 wurden ins Lager aufgenommen und etwa 3000 ermordet.

 

183 000 bis 185 000: Anfang Mai kamen kleinere Transporte holländischer, französischer, belgischer und griechischer Juden sowie auch polnische „Arier“ an. Die meisten wurden in den Buna-Werken beschäftigt.

 

Am 10. Mai 1944 traf der erste Transport mit ungarischen Juden in Birkenau ein. Sie kamen hauptsächlich aus Gefängnissen in Budapest, darunter waren auch Juden, die auf Straßen und Bahnhöfen der Stadt verhaftet worden waren. Unter den Frauen befanden sich: Ruth Lorant, Mici Lorant, Ruth Quasztler, Irena Roth und Berna Fuchs. Der Transport wurde in Auschwitz und Birkenau mit der bekannten Prozedur (Kopfrasur, Tätowieren der Nummern etc.) empfangen. Den Männern wurden Nummern ab 186 000 gegeben. Die Frauen wurden im Frauenlager untergebracht. Etwa 600 Männer, von denen etwa 150 zwischen 45 und 60 Jahre alt waren, wurden nach Birkenau gebracht und dort verschiedenen Arbeitsbereichen zugeteilt. Der Rest blieb in Auschwitz, wo sie in den Buna-Werken arbeiteten.

Alle Angehörigen dieses Transports wurden am Leben gelassen, und keiner von ihnen wurde, wie gewöhnlich, direkt ins Krematorium geschickt. Auf den Postkarten, die sie schreiben durften, mussten sie „Waldsee“ als Adresse angeben.

 

Seit dem 15. Mai trafen massenhaft Transporte aus Ungarn in Birkenau ein. Es kamen täglich um die 14 000 bis 15 000 Juden an. Das Eisenbahngleis, das ins Lager zu den Krematorien führte, wurde in großer Eile fertiggestellt – die Kommandos arbeiteten Tag und Nacht –, so dass die Transporte direkt zu den Krematorien gebracht werden konnten. Nur etwa 10% aus diesen Transporten wurden ins Lager aufgenommen. Der Rest wurde sofort vergast und verbrannt. Seit der Gründung von Birkenau waren noch nie so viele Juden vergast worden. Das „Sonderkommando“ musste auf 600 Mann und nach zwei, drei Tagen auf 800 Mann (die aus den zuerst aus Ungarn eingetroffenen Judentransporten rekrutiert wurden) vergrößert werden. Das „Aufräumkommando“ wuchs von 150 auf 700 Mann. Drei Krematorien arbeiteten Tag und Nacht (das vierte wurde zu dieser Zeit repariert). Da die Kapazität der Krematorien nicht ausreichte, wurden (wie in der Zeit vor den Krematorien) im Birkenwäldchen wieder große Gruben von 30 Metern Länge und 15 Metern Breite ausgehoben, in denen Tag und Nacht Leichen verbrannt wurden. Auf diese Weise wurde die Ausrottungskapazität fast grenzenlos.