Dok. 15-291

Ottó Komoly bedankt sich am 27. November 1944 bei Saly Mayer für seine Hilfe, aber hat keine Hoffnung mehr, ungarische Juden zu retten


Ich habe nur wenige Minuten Zeit, um Ihnen

Ich habe nur wenige Minuten Zeit, um Ihnen

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
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Personen

Ottó Komoly (1892–1945), Bauingenieur; von 1940 an stellv. Präsident, von 1941 an Präsident des Ungarischen Zionistischen Bundes, von 1943 an Leiter des Budapester Hilfs- und Rettungskomitees Vadaa; von Sept. 1944 an Leiter der Sektion A des Internationalen Roten Kreuzes; am 1.1.1945 von Pfeilkreuzlern verschleppt und ermordet; Autor von „A zsidó nép jövője“ (1919) und „Cionista életszemlélet“ (1942).

 

Saly (auch Sally) Mayer (1882-1950), Unternehmer und Politiker; von 1907 an Inhaber eines Textilunternehmens; von 1929 an im Schweizerisch Israelitischen Gemeindebund tätig; 1933 Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei und des Stadtparlaments in St. Gallen; 1936–1943 als dessen Präsident, 1940–1950 Vertreter des Joint in der Schweiz. 1944 verhandelte Mayer mit Vertretern der SS über die Freilassung ungar. Juden.

 

Rezső Kasztner (1906–1957), Jurist; in den 1930er- Jahren Sekretär der Jüdischen Reichspartei in Rumänien, von 1940 an zionistischer Aktivist in Ungarn, 1943/44 stellv. Vorsitzender des Vadaa; nach 1945 Zeuge im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, Emigration nach Israel, 1957 von militanten Zionisten ermordet; Autor u. a. von „Der Bericht des jüdischen Rettungskomitees aus Budapest 1942–1945“ (1945).

Skript

Brief

 

Sehr geehrter Herr Direktor!
Ich habe nur wenige Minuten Zeit, um Ihnen zu schreiben, da ich erst in der letzten Stunde die Nachricht von Dr. Kastner erhielt, daß ich die Möglichkeit habe, Ihnen schreiben zu können. Darum nur in aller Kürze.
Das Schicksal des ungarischen Judentums nähert sich seinem Ende. Es ist kaum zu erwarten, daß, außer einem kleinen Bruchteil, es die Gegenwart überleben wird können. Wir stehen hier machtlos den Ereignissen gegenüber und haben die Hoffnung, daß Ihrerseits etwas Entscheidendes erreicht werden könnte, sozusagen ganz verloren. Das einzige, das wir mit Ihrer Hilfe zu erreichen trachten, ist, die Leiden zu mildern, Kinder zu überretten, Kranken und Greisen die letzten Tage erträglicher zu gestalten. Die Erhaltung des Bestandes ist heute nur mehr ein leerer Wahn.
Ich weiß, Sie haben, Herr Direktor, Unmenschliches, Übermenschliches geleistet, um uns zu helfen. Wir sagen Ihnen innigsten Dank dafür. Nicht Ihr Wille war es, an welchem es mangelte: die Verhältnisse waren stärker als Ihre Kräfte. Mit diesem Bewußtsein gehen wir unserem Schicksal entgegen.
Ihr sehr ergebener