Dok. 15-251

Der Schweizer Gesandte Maximilian Jaeger informiert am 25. Juli 1944das Politische Departement über die innenpolitischen Machtkämpfe in Ungarn


Schreiben (streng vertraulich, gefälligst nicht zu reproduzieren)

Schreiben (streng vertraulich, gefälligst nicht zu reproduzieren)

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Maximilian Jaeger (1884–1958), Jurist; von 1909 an im Eidgenössischen Politischen Departement tätig, 1909–1911 Attaché in Rom, 1911–1913 in Berlin, 1913–1916 in Paris, 1918 Leg. Rat, 1922–1925 Generalkonsul in Athen, 1925–1938 Gesandter in Wien und Budapest, 1938–1945 in Budapest; 1946–1948 Gesandter in Portugal.

 

Marcel Pilet-Golaz (1889–1958), Jurist, Diplomat; 1925–1928 schweizer. Nationalrat, von 1928 an Bundesrat, 1929 Leiter des Departements des Innern, 1930–1939 Leiter des Post- und Eisenbahndepartements, 1940–1944 Leiter des Politischen Departements, 1934 und 1940 Bundespräsident, Dez. 1944 Rücktritt.

 

Miklós Horthy von Nagybánya (1868–1957), Admiral; 1909–1914 Flügeladjutant von Kaiser Franz Joseph I., von Febr. 1918 an Befehlshaber der k. u. k. Kriegsmarine; 1920–1944 Reichsverweser; im Okt. 1944 in Bayern interniert; im Mai 1945 von der US-Armee befreit, emigrierte 1948 in die Schweiz, anschließend nach Portugal.

 

Döme Sztójay (1883–1946), Diplomat; 1925–1933 Oberst im Generalstab und Militärattaché in Berlin, 1933–1935 Sektionschef im Verteidigungsministerium, 1935–1944 Botschafter in Berlin, 1944 Ministerpräsident und Außenminister; 1946 vom ungar. Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

 

Ferenc Szálasi (1897–1946), Offizier; 1925 Generalstabsoffizier, 1933 aufgrund seiner politischen Betätigung aus dem Generalstab entlassen, 1935 pensioniert; 1935 Gründung der Partei des Nationalen Willens, 1937 Gründung der Ungarischen Nationalsozialistischen Partei, 1938 Gründung der Nationalsozialistischen Ungarischen Partei, 1939–1945 Parteiführer der Pfeilkreuzlerpartei; 1937 und 1938–1940 in Haft; Okt. 1944 bis März 1945 „Führer der Nation“; vom ungar. Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

 

Vitéz Andor Jaross (1896–1946), Politiker; von 1935 an Mitglied des tschechoslowak. Parlaments, 1938–1940 Minister ohne Geschäftsbereich, 1940 Mitbegründer der Partei der ungarischen Erneuerung; März bis Aug. 1944 Innenminister; vom ungar. Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

 

Vitéz László Endre (1895–1946), Jurist; 1923–1937 Oberstuhlrichter von Gödöllő, 1938–1943 Vizegespan des Komitats Pest-Pilis-Solt-Kiskun; 1944 StS (Staatssekretär) für Verwaltung im Innenministerium, hauptverantwortlich für die Deportationen nach Auschwitz, in der Pfeilkreuzlerregierung Regierungskommissar für die Zivilverwaltung der Operationsgebiete; 1946 vom ungar. Volksgericht verurteilt und hingerichtet.

 

László Baky (1898–1946), Offizier; 1925–1938 in der Gendarmerie tätig; u. a. Mitglied der Ungarischen Nationalsozialistischen Partei – Hungaristische Bewegung und später der Partei der Ungarischen Erneuerung, von 1939 an Parlamentsabgeordneter; von März 1944 an StS (Staatssekretär) im Innenministerium, hauptverantwortlich für die Deportationen nach Auschwitz, nach der Machtübernahme der Pfeilkreuzler Leiter des Büros für Nationale Sicherheit; 1946 vom ungar. Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Skript

Schreiben (streng vertraulich, gefälligst nicht zu reproduzieren) der schweizerischen Gesandtschaft, Budapest an den Chef des Eidgenössischen Politischen Departements und Vizepräsidenten des Bundesrats Pilet-Golaz, Bern

 

Herr Bundesrat,
durch Kurzbericht hatte ich die Ehre, Ihnen zu melden, dass ich aus meiner erneuten Besprechung mit dem ungarischen Reichsverweser die Überzeugung gewinnen konnte, dass Admiral Horthy mit der Politik der heute am Ruder befindlichen Regierung nicht in allen Punkten einiggeht und vor allem die bisherige Judenpolitik des Kabinetts Sztójay desapprobiert.

Seit Wochen findet ein innenpolitischer Kampf statt um die Beseitigung oder wenigstens um eine wesentliche Modifizierung der jetzigen Regierung. Des Reichsverwesers Plan wäre, an die Spitze des Kabinetts einen Militär zu stellen, der die Portefeuilles an parteilose Fachminister verteilen würde. Diese gegen die politischen Parteien gerichtete Tendenz hat sich bisher nicht durchsetzen können, sondern die politischen Parteien sind zurzeit daran, sich über die Regierungsbildung zu verständigen und eine Koalitionsregierung aufzustellen, in der alle rechtsstehenden Parteien vertreten wären und auch der Pfeilkreuzlerführer Szalassy Platz finden solle.

Die Parteien-Verhandlungen stehen unter dem Druck von verschiedenen Machtfaktoren. Als bedeutendste unter diesen müssen die im Lande anwesenden deutschen Gestapo- und SS-Truppen bezeichnet werden. Daneben spielt die ungarische Honvéd, aber auch die ungarische Gendarmerie eine Rolle. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass der Innenminister Jaross und seine zwei Staatssekretäre Endre und Baky, denen die Vollstreckung der Judenverordnungen untersteht, anfangs Juli grössere Gendarmerie-Kräfte in der Hauptstadt zusammengezogen haben, hauptsächlich um die Sammlung und Deportation der Juden zu bewerkstelligen, aber es scheint auch, um ihre eigene Machtstellung zu verstärken und um ihren Anordnungen und Begehren mehr Nachdruck zu verleihen. Die Leitung der Honvéd, die dieses Manöver durchschaute, hat es dadurch durchkreuzt, dass sie Truppen ausrücken liess und es erreichte, dass die Gendarmerie-Truppen wieder abziehen mussten.