Dok. 15-223

Der US-amerikanische Diplomat Leland B. Harrison gibt am 24. Juni 1944 einen Bericht über den Ablauf der Deportationen der ungarischen Juden wieder


Inzwischen gibt es keinen Zweifel mehr, dass die Mehrheit der jüdischen

Inzwischen gibt es keinen Zweifel mehr, dass die Mehrheit der jüdischen

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
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Personen

Leland B. Harrison (1883–1951), Jurist, Diplomat; von 1903 an Dritter Sekretär der US-Botschaft in Tokio, 1918 Teil der US-Delegation bei den Pariser Friedensverhandlungen, 1927–1929 Botschafter in Schweden, 1930 in Uruguay, 1935–1937 in Rumänien, 1937–1947 in der Schweiz; Mitarbeiter des Diplomatic Security Service.

 

Roswell Dunlop McClelland (1914–1995), Diplomat; US-amerikan. Repräsentant des War Refugee Board in der Schweiz; 1970–1973 Gesandter in Niger.

 

Vitéz László Endre (1895–1946), Jurist; 1923–1937 Oberstuhlrichter von Gödöllő, 1938–1943 Vizegespan des Komitats Pest-Pilis-Solt-Kiskun; 1944 StS (Staatssekretär) für Verwaltung im Innenministerium, hauptverantwortlich für die Deportationen nach Auschwitz, in der Pfeilkreuzlerregierung Regierungskommissar für die Zivilverwaltung der Operationsgebiete; 1946 vom ungar. Volksgericht verurteilt und hingerichtet.

 

László Baky (1898–1946), Offizier; 1925–1938 in der Gendarmerie tätig; u. a. Mitglied der Ungarischen Nationalsozialistischen Partei – Hungaristische Bewegung und später der Partei der Ungarischen Erneuerung, von 1939 an Parlamentsabgeordneter; von März 1944 an StS (Staatssekretär) im Innenministerium, hauptverantwortlich für die Deportationen nach Auschwitz, nach der Machtübernahme der Pfeilkreuzler Leiter des Büros für Nationale Sicherheit; 1946 vom ungar. Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

 

Vitéz Andor Jaross (1896–1946), Politiker; von 1935 an Mitglied des tschechoslowak. Parlaments, 1938–1940 Minister ohne Geschäftsbereich, 1940 Mitbegründer der Partei der ungarischen Erneuerung; März bis Aug. 1944 Innenminister; vom ungar. Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Skript

Bericht an Roswell Dunlop McClelland

 

Inzwischen gibt es keinen Zweifel mehr, dass die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung östlich der Donau, insbesondere aus dem Osten, Norden und Nordosten Ungarns, nach Polen deportiert worden ist. In den vergangenen zwei Wochen wurden uns diese Informationen von drei zuverlässigen, unabhängigen Quellen bestätigt: (a) von einem Schweizer Beamten, der gerade aus Budapest zurückgekehrt ist, (b) von Eisenbahnern, die in der tschechischen Untergrundbewegung aktiv sind, (c) und von einer weiteren zuverlässigen geheimen Quelle. Behandeln Sie die Informationen zu den Quellen absolut vertraulich, da jedwede öffentlichen Hinweise auf deren Identität ihr Leben gefährden würden. Etwa zwei bis vier Wochen vor Anlauf der Deportationen hatte man damit begonnen, Tausende von Juden brutal zusammenzutreiben und sie ungeachtet ihres Gesundheitszustands, Geschlechts und Alters in primitiven Unterkünften ohne ausreichend Verpflegung, Kleidung und Wasser zusammenzupferchen. Durchgeführt wurde diese von László Endre verantwortete Aktion maßgeblich von der ungarischen Gendarmerie. Anscheinend begannen die aktuellen Deportationen um den 15. Mai herum und dauerten bis Mitte Juni an. Davon betroffen waren täglich 12 000 Personen: Etwa 7000 gelangten über die Karpato-Ukraine und 5000 über die Slowakei [nach Polen]. Bei diesen Aktionen wurden in der Regel jeweils 60 bis 70 Menschen in versiegelte Güterwaggons gesperrt, die Fahrt dauerte zwei bis drei Tage, ohne ausreichend Wasser und Essen, so dass viele wahrscheinlich schon auf dem Weg starben.
Nach den uns vorliegenden Informationen wurden bereits mindestens 335 000 Juden aus den folgenden Gebieten deportiert:
Ungefähr 130 000 aus dem Karpatenvorland und aus Ruthenien, vor allem aus den Städten Beregszász, Felsőviso, Huszt, Nagyszőllós, Máramarossziget, Munkács, Tecar und Ungvár.

Etwa 90 000 aus Siebenbürgen aus Beszterce, Dés, Kolozsvár, Marosvásárhely, Nagybánya, Nagyvárad, Szászrégen und Szilégy.
Im Norden aus Kâssakaschau, Gyöngyös, Sátoraljaujhely und Sárospatak.
Etwa 75 000 aus der Theiß-Region: Kisvárda, Mátészalka, Nagykároly, Nyiregyháza und Szatmárnémeti.

Eine Quelle berichtet darüber hinaus von annähernd 20 000 Juden, die aus einzelnen Städten im südlichen Ungarn deportiert worden seien, darunter Bacsya, Baja, Nagykanizsa, Ujvidek und Szabadka, und von Vorbereitungen aus Dunaszerdehely, Gyoer, Komárom, Miskolc, Pécs und Szombathely, wo man die Menschen bereits zusammengetrieben hat.

In Budapest und Umgebung wurden bereits 350 000 Juden konzentriert. Diese Aktion begann am 16. Juni und war am 21. abgeschlossen. Sie wurden in beschlagnahmten Häuserblocks untergebracht, die wie ein Schachbrett angeordnet sind, so dass es keinen Schutz vor Bombenangriffen gibt.

Um die 15 000 hat man in einem in einem Industriegebiet an der Donau gelegenen Getto in Ujpest in der Nähe von Budapest zusammengepfercht.
Die innerhalb der Sztójay-Regierung für die Verfolgung von Juden verantwortlichen Personen sind: László Endre, vormals Unterpräfekt im Bezirk Pest, jetzt Innenministerium; László Baky, ebenfalls Innenministerium, und Andor Jaross, Innenminister.

Es bestehen kaum Zweifel, dass viele ungarische Juden in das Vernichtungslager Auschwitz (Oswiecim) und nach Birkenau (Rajska) im westlichen Oberschlesien gebracht werden.