Dok. 14-272

Der Generalkonsul der Vereinigten Staaten in Istanbul gibt am 7. August 1943 das Zeugnis einer aus Thessaloniki entkommenen Jüdin nach Washington weiter

Sir, ich habe die Ehre, von einem Gespräch mit einer jungen Jüdin

Sir, ich habe die Ehre, von einem Gespräch mit einer jungen Jüdin

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
Skript

Sir,

ich habe die Ehre, von einem Gespräch mit einer jungen Jüdin türkischer Staatsangehörigkeit zu berichten, die Thessaloniki am 8. Juli verlassen hat und am 15. Juli in Istanbul eingetroffen ist. Diese junge Frau wünscht, dass ihr Name geheim gehalten wird. Ihr Bericht bezieht sich hauptsächlich auf die Zeit zwischen dem 1. März und dem 8. Juli und beschränkt sich auf ihre persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen.

[…]

Über die Massendeportationen von Juden mit griechischer Staatsangehörigkeit berichtete die junge Frau, die deutschen Truppen, die diese Aufgabe auszuführen hatten, seien nicht die bereits in Thessaloniki stationierten Besatzungstruppen gewesen. Vielmehr habe es sich bei ihnen um Einheiten der SS gehandelt, die eigens zu diesem Zweck hierhergeschickt wurden. Diese Truppen sind Ende Februar in Thessaloniki eingetroffen. Ihre Haltung den Griechen und besonders den Juden gegenüber war extrem hart und stand in deutlichem Kontrast zu der relativ wohlwollenden Haltung der regulären Besatzungstruppen.

Bei der Deportation wurde wie folgt vorgegangen: Jedem Juden wurde ein Formular mit der Anordnung ausgehändigt, eine vollständige Bestandsaufnahme seines Besitzes anzufertigen. Es musste der Wert aller aufgelisteten Gegenstände angegeben werden, einschließlich der Objekte, die für gewöhnlich als wertlos erachtet werden, wie zum Beispiel kleine Hunde. Die Listen mussten am nächsten Tag ausgehändigt werden, obwohl der Zeitraum von weniger als 24 Stunden in vielen Fällen nicht ausreichend war, um die verlangten Informationen einzuholen. Unserer Informantin zufolge konnten die Juden in diesen Inventurlisten keinen Sinn erkennen, da die SS-Truppen den eingesammelten Listen keinerlei Beachtung schenkten, sondern selbst nach dem kleinsten Stück Besitz der griechischen Juden griffen, unabhängig von dessen Wert: Die Häuser wurden leergeräumt, ihr Inhalt in Lastwagen weggebracht, und die Eigentümer brachte man in das Konzentrationslager Baron Hirsch. Wertgegenstände wurden nach Deutschland geschickt, während die wertlosen Dinge in Lagerhäusern verstaut wurden.

Der Massentransport der griechischen Juden in das Konzentrationslager begann am 2. März 1943 und dauerte eineinhalb Monate an. Das Konzentrationslager war völlig isoliert vom Rest der Stadt.

Um jede Kommunikation zwischen den eingesperrten Juden und denen, die noch in Freiheit waren, zu unterbinden, wurde um das Lager herum eine 50 Meter breite Zone eingerichtet. Kein Jude, egal ob griechischer oder ausländischer Staatsangehörigkeit, durfte sie – unter welchem Vorwand auch immer – betreten. Juden, die auf diesem Gelände gewohnt hatten, wurden gezwungen, ihr Haus mit ihrem gesamten Besitz zu verlassen und anderswo Zuflucht zu suchen. Um die Bewachung dieses Stadtbezirks zu verstärken, rekrutierte die SS eine 200 Mann starke jüdische Miliz als Hilfstruppe.

[...]

Man brachte alle griechischen Juden in das Lager und schaffte ganze Familien weg, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht oder körperliche Verfassung. [...]

All diese unglücklichen Opfer inhaftierte man für einen unterschiedlich langen Zeitraum, während sie über ihr Eigentum befragt wurden.

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Nach dieser Phase des Verhörens wurden die Juden in Viehwaggons abtransportiert, 70 Personen in einem Waggon, fast ohne jede Luftzufuhr. Man glaubte, Polen würde das Ziel sein. Auf diese Weise sind 45 000 griechische Juden deportiert worden.

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Als unsere Informantin Thessaloniki am 8. Juli verließ, war sie sich sicher, dass kein Jude – welcher Nationalität auch immer – in der Stadt verblieben war.

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Die Abreise der jungen Jüdin aus Thessaloniki wurde vom türkischen Konsul arrangiert.

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