Dok. 13-343

Mois Pasi schildert seiner Freundin Reni am 4. September 1944, wie er die letzten Tage vor dem Einmarsch der Roten Armee in Vidin, Bulgarien, erlebt

Im Moment herrscht Luftalarm. Manchmal frage ich mich

Im Moment herrscht Luftalarm. Manchmal frage ich mich

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
Personen

Mois Pasi (*1926), Jurist; stammte aus Vidin; wanderte 1948 nach Israel aus.

 

Reni, auch Rozalia Pasi, geb. Koen (1928–2007), Schriftstellerin; stammte aus Sofia; ihre Familie wurde im Mai 1943 nach Vidin ausgesiedelt, wo sie ihren Freund und späteren Ehemann Mois kennenlernte; mit ihm wanderte sie 1948 nach Israel aus.

 

Skript

Grüß Dich, liebe Reni,
heute schreibe ich Dir einen zweiten Brief. Ich möchte auf Deinen Brief antworten, den ich heute Nachmittag erhalten habe. Im Moment herrscht Luftalarm. Manchmal frage ich mich, werden diese Alarme nicht irgendwann ein Ende haben? Andererseits sage ich mir, dass uns die englischen Flugzeuge, die auf dem Weg nach Rumänien über uns hinwegfliegen, dem Ende des Krieges näherbringen.
Die Neuigkeiten habt Ihr bestimmt auch bei Euch mitbekommen. Wir warten jeden Tag auf die sowjetischen Armeen, um sie zu begrüßen – als Befreier. Man erzählt, die Garnison von Vidin werde sie empfangen. Noch ein, zwei Tage und man wird die politischen Gefangenen freilassen. Und was diese achtzig Personen angeht, die zu den Partisanen gegangen sind, bin ich ganz Deiner Meinung. Jetzt geben sie Entwarnung: Die englischen Flugzeuge haben ihre Arbeit über Rumänien verrichtet und kehren zurück. Gestern, am Sonntag, sind wir in den Park gegangen, der an der Donau liegt. Aber was für ein Vergnügen kann es uns bereiten, wenn wir es nicht gewohnt sind? Mehr als drei Jahre sind vergangen, seit sie uns, den Juden, verboten haben, den Park zu besuchen. Trotzdem ist es großartig, wir sitzen auf Parkbänken, blicken auf die Donau und betrachten den Mond! Ein fantastischer Anblick, welch Schönheit! Das ist wahre Romantik! Nur Du hast gefehlt! Wie wir so auf der Parkbank saßen, kam ein Soldat mit Gewehr. Anfangs waren wir verlegen und vielleicht auch ein wenig erschrocken. Wir trugen die Abzeichen. Dann begriffen wir, dass es eine Wache ist. Ein sympathischer junger Soldat! Wir müssen uns an die Freiheit gewöhnen ... Ach, wie wertvoll diese Freiheit doch ist! Ich verstehe, dass Du Sehnsucht hast. Ich vermisse Dich auch. Gerade jetzt, wo wir Zeugen solcher Ereignisse werden, bist Du nicht hier. Viele Grüße an alle Freunde. Ich wünsche Dir eine schöne Zeit.