Dok. 13-283

Der Verband der bulgarischen Rechtsanwälte protestiert am 30. Oktober 1940 beim Vorsitzenden der Nationalversammlung gegen den Entwurf des Gesetzes zum Schutz der Nation


Sehr geehrter Herr Vorsitzender, der Verband der bulgarischen Rechtsanwälte hat

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, der Verband der bulgarischen Rechtsanwälte hat

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
Personen

Petăr Bojadžiev (gest. 1941), Jurist; stellv. Vorsitzender des Verbands der bulgar. Rechtsanwälte. Der Verband wurde 1920 gegründet. Ende der 1930er-Jahre waren 1100 von den 2911 praktizierenden Rechtsanwälten im Land Mitglied im Verband. Nach dem Putsch von 1934 setzte sich der Verband für die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und die Wiedereinsetzung der aufgelösten Nationalversammlung ein. Vorsitzender des Verbands war Josif Fadenchecht (1873–1953), Rechtsanwalt und Politiker.


Najden Rajčev, Jurist; stellv. Vorsitzender des Verbands der bulgar. Rechtsanwälte.


Nikola Petrov Logofetov (1880–1945), Jurist; 1909–1943 Rechtsanwalt in Lom; Mitglied des Stadtrats von Lom und des Kreistags von Vidin, 1940/41 Vorsitzender der Nationalversammlung; 1945 vom Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Skript

Schreiben, gez. Petǎr Bojadžiev (stellv. Vorsitzender), Nǎjden Rajčev (Sekretär)

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
der Verband der bulgarischen Rechtsanwälte hat den in Vorbereitung befindlichen Gesetzentwurf zum Schutz der Nation mit Überraschung aufgenommen. Wir verfügen zwar nicht über den eigentlichen Entwurf des Ministerrats, aber die darin enthaltenen Ideen sind ausreichend deutlich in den in der Tagespresse vom 9. Oktober dieses Jahres wiedergegebenen Äußerungen des Herrn Innenministers umrissen.
Im konkreten Fall interessieren uns die Regelungen, denen die Juden in Bulgarien zukünftig unterworfen sein werden. Die Teile über die internationalen und geheimen Organisationen und über die schädliche und antinationale Propaganda sind in den erwähnten Äußerungen des Ministers nicht detailliert ausgeführt, weshalb wir uns mit ihnen nötigenfalls befassen werden, wenn wir den Gesetzentwurf vorliegen haben. Was die Verfügungen angeht, die die jüdische Minderheit betreffen, sind sie ziemlich vollständig und konkret skizziert. Mit dem in Vorbereitung befindlichen Gesetz wird an erster Stelle eine völlig haltlose Definition des Begriffs Jude vorgestellt. Die Bürgerrechte und die politischen Rechte der derart definierten jüdischen Minderheit werden beschnitten. Die zu dieser Minderheit Gehörigen sollen keine staatlichen, kommunalen oder öffentlichen Ämter übernehmen dürfen, sei es qua Ernennung oder durch Wahl. Sie können nicht in der Armee dienen. Sie dürfen keinen Grundbesitz haben. Die Ausübung freier Berufe durch Juden wird proportional zur Zahl der jüdischen Bevölkerung am entsprechenden Ort beschränkt.
Selbiges gilt für Arbeiter und Angestellte in jüdischen Privatunternehmen. Personen jü- discher Abstammung können die bulgarische Staatsbürgerschaft nicht erlangen. Sie können weder Eigentümer oder Teilhaber von Verlagsunternehmen sein noch Verleger oder Redakteure, außer wenn die entsprechenden Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher für die jüdische Minderheit bestimmt sind. Dasselbe gilt für Film-, Theater- und Kinounternehmen sowie für den diesbezüglichen Vertrieb. Personen jüdischer Abstammung können keine Firmen vertreten, die staatliche, kommunale oder andere öffentliche Aufträge erhalten. Personen jüdischer Abstammung dürfen kein Hauspersonal bulgarischer Abstammung beschäftigen.

Aus dem Dargestellten ist ersichtlich, dass der Gesetzentwurf des Ministerrats eine Reihe von wesentlichen und erniedrigenden Einschränkungen für die jüdische Minderheit in Bulgarien schafft.
Aus den Ausführungen des Herrn Innenministers geht nicht hervor, warum ein solches Gesetz erforderlich ist. Im Gegenteil erfahren wir, dass auch der Herr Minister davon überzeugt ist: „Der bulgarische Staat und das bulgarische Volk waren von jeher bestrebt, und, was wichtig ist, es ist ihnen auch gelungen, ihren nationalen Charakter vollständig zu bewahren. Der bulgarische Staat ist durch und durch national, und unser Volk hat seine Reinheit bis zu einem Grad bewahrt, dessen sich wenige Völker in Europa rühmen können.“ Wenn also der Herr Minister selbst, und wir nehmen an – auf Beschluss des Ministerrats – erklärt, der bulgarische Staat sei ein vollständig nationaler und unsere Nation habe ihre Reinheit bewahrt, dann gibt es kein nationales Bedürfnis nach einem solchen Gesetz, durch das eine bestimmte Gruppe bulgarischer Bürger eingeschränkt und degradiert wird. Das Judentum in Bulgarien gefährdet weder unsere Wirtschaft noch unsere Kultur oder gar die Reinheit der bulgarischen Nation. Völlig falsch zu behaupten wäre es, die Juden hätten besonderen Einfluss auf unser geistiges, politisches und wirtschaftliches Leben. Und es wäre ungerecht zu sagen, die Juden würden ihre Pflichten nicht wie alle übrigen Bürger erfüllen. […]

Indem wir Ihnen all dies darlegen, bitten wir nachdrücklich darum, dieses unnötige, schädliche, rechtsverletzende und ungerechte Gesetzesvorhaben aufzugeben.
Mit Hochachtung