Dok. 10-284

Die elfjährige Halina Hoffman schildert dem Jüdischen Komitee in Krakau am 7. Mai 1945 ihre Odyssee durch verschiedene Arbeitslager in Schlesien und Westpreußen

Ich erinnere mich nicht an das Datum, wann sie Vater

Ich erinnere mich nicht an das Datum, wann sie Vater

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Halina Hoffman, auch Hoffmann (*1934); sie gelangte 1947 mit dem Flüchtlingsschiff Al Tafchidunu zunächst nach Zypern, 1948 dann nach Israel und nahm dort den Namen Khana Aloni an; sie lebt in der Nähe von Tel Aviv.

 

Izydor, auch Yitzkhak Hoffmann (*1906 oder 1908), Schneider; stammte aus Siersza und lebte vor dem Krieg in Chrzanów.

 

Regina, auch Rywka Hoffmann, geb. Bochenek (1915–1943); stammte aus Chrzanów, wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und kam dort um.

Skript

Protokollierte Aussage vor dem Jüdischen Komitee in Krakau

 

Aussagen.
Kinder (Mit arischen Papieren)


Krenau – Myslowitz (Lager) – Pogrzebień (Lager) – Liski bei Rybnik (Lager) – Oderberg (Lager) – Potulice in Pommern (Lager)

 

Hoffmann Halina geb. 19. März 1934 in Krenau
Vater: Izydor – Mutter: Regina Bochenek – Eigentümer eines Seidentextilgeschäfts, wohnhaft Chrzanów, Krzyska-Straße 15.


Ich erinnere mich nicht an das Datum, wann sie Vater ins Lager gebracht haben, ich weiß, dass er nierenkrank war und vermutlich gestorben ist, aber Mama weinte allein und wollte mir nicht die Wahrheit sagen, damit ich mich nicht ängstige. Aber ich habe es auch so gespürt. Sie haben uns alles genommen: das Geschäft und die Wohnung, nur Bündel durfte man mitnehmen. Meine Tante haben sie im Gefängnis erschossen. So haben es uns die Leute erzählt. Aber ich erinnere mich nicht an das Datum, wann das alles passiert ist. Als sie damit begannen, alle auszusiedeln, versteckte Mama mich auf dem Dachboden, aber nur für einen Tag. In der Nacht gingen wir hinunter. Ich erinnere mich, dass es im Sommer war, die Sterne und der Mond schienen. Wir gingen leise und schnell. Mama führte mich zu einer Polin, die bei uns die Wäsche wusch, zu Frau Hanuś, und ließ mich dort zurück. Mama sagte, sie selbst müsse sich in einem Lager melden, und mich könnten sie dort erschießen, weil ich noch zu klein zum Arbeiten sei. Mama hat geweint und mich gebeten, brav zu sein, dass ich Frau Hanuś gehorchen solle und dass sie zu mir zurückkommen werde. Aber sie kam nicht zurück. Ich habe auch geweint und wollte mit Mama gehen, aber sie erlaubten es mir nicht. Mama ging sehr früh am Morgen weg, sie verabschiedete sich nicht einmal von mir, da ich noch schlief. Und dann habe ich Mama nie wieder gesehen.
Bei der Frau blieb ich acht Monate lang. Ich saß stets im Verborgenen, im Zimmer und tagsüber im Keller, weil es nur einen Raum gab. Eines Tages in der Früh um 4 Uhr morgens kam die deutsche Polizei und nahm uns alle mit: die Frau Hanuś, ihren Mann, die vierzehnjährige Tochter Anda, den sechs Monate alten Sohn Mietek und mich. In Chrzanów verhafteten sie damals viele Polen. Sie trennten uns sofort voneinander, die Kinder Anda, Mietek und ich fuhren zusammen mit anderen Kindern nach Mysłowice. Glücklicherweise kannte mich niemand. In Mysłowice blieben wir drei Tage lang in einem Durchgangslager, danach schickte man uns nach Pogrzebień. Das war ein Lager, und dort war es sehr schlecht. Es gab viele Kinder, aber ich erinnere nicht mehr, wie viele. Einige Kinder hänselten mich und riefen mir nach: Jüdin, aber Anda schrie, dass ich ihre Kusine sei, ich hieße genauso Hanuś wie sie auch. Wir blieben dort vier Monate. Es herrschte Hunger – sie gaben uns täglich eine Brennnesselsuppe und zwei dünne Scheiben Brot.
Danach fuhren wir nach Liski bei Rybnik. Dort gab es ein Lager für Ältere, nur 39 Kinder waren dort. Es gab besseres Essen, wir arbeiteten auf dem Hof. Ich jätete Quecke vom Acker. In Liski waren wir drei Monate, und danach wurden alle Kinder mit Fuhrwerken in das Lager in Oderberg gebracht. In Oderberg war es am besten. Es gab zu essen und Pflegerinnen, die für uns nähten und wuschen. Oft aßen wir Nudeln und Pferdefleisch. Es war mit Abstand das Beste (wörtlich). Wir blieben dort acht Monate. Von dort fuhren wir zwei Tage und zwei Nächte mit dem Zug nach Potulice in Pommern. In diesem Lager waren viele Menschen, man sagte, es seien 7000. Kinder waren etwa 250 da. Die Älteren gingen zur Arbeit außerhalb des Lagers, und wir blieben im Lager. Erneut war es sehr schlecht mit dem Essen, am schlechtesten von allen Lagern. Sie gaben uns gekochte Brennnesseln und Wasser mit Kohl und verfaulte Rüben. In jedes Essen schütten sie irgendein Pulver. Die Menschen, die dort wohnten, nannte man Kaschuben, und sie sprachen sehr komisch. Sie waren nicht gut, gaben uns niemals etwas ab, sie schrien und schlugen nur. Wir hörten, wie die Russen näherkamen. Die Deutschen wollten uns zusammen mit dem Lager verbrennen, überschütteten die Baracken schon mit Benzin, schafften es aber nicht mehr, da die Russen zu schießen begannen. Daraufhin öffneten die Deutschen das Tor und sagten: Wer will, soll gehen. Unsere Pflegerin blieb bei uns, weil wir ihr leidtaten, und so blieben wir drei Monate in diesem Lager zusammen mit den Sowjets. Ich sah, wie die Deutschen flüchteten, wie sie ihre Gewehre wegwarfen. Auf dem Weg lagen getötete Deutsche – die, die über uns im Lager geherrscht hatten.

Danach wurden wir nach Hause geschickt, uns kam der ältere Sohn von Frau Hanuś abholen, der erfahren hatte, wo wir sind. Er nahm uns mit nach Chrzanów. Frau Hanuś kehrte auch aus einem anderen Lager zurück, aber ihr Mann kam nicht mehr zurück, sie schrieben, er sei gestorben. Wir warteten, ob nicht jemand mich holen käme, aber es gab niemanden. Deshalb konnte Frau Hanuś mich nicht länger behalten, weil alle schon über sie lachten und sie arm war. Man brachte mich zum Komitee, nach Krakau, und ich habe sehr geweint und sie auch. Denn obwohl Anda anderen erzählte, dass ich Jüdin sei, allerdings erst dann, als die Russen schon da waren, war ich trotzdem traurig, von ihnen fortzugehen. Sie weinten auch meinetwegen, weil sie sich an mich gewöhnt hatten.