Dok. 10-060

Shlomo Frank beschreibt in seinem Tagebuch zwischen dem 21. und 23. Januar 1942 die Aktivitäten des Judenältesten in Litzmannstadt, Rumkowski, sowie die Tätigkeit des jüdischen Ordnungsdienstes im Getto


Wieder einmal wissen die Friedhofsarbeiter sich keinen Rat

Wieder einmal wissen die Friedhofsarbeiter sich keinen Rat

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Shlomo Frank, geb. als Shlomo Frenkel (1902–1966), Journalist, Schriftsteller; im Getto Litzmannstadt gehörte er dem jüdischen Ordnungsdienst an, war in einer zionistisch-revisionistischen Untergrundgruppe aktiv, überlebte das Getto sowie mehrere Lager; er wanderte nach 1948 nach Israel aus.

 

Mordechai Chaim Rumkowski (1877–1944), Kaufmann; vor 1939 als Zionist im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Łódź tätig; im Okt. 1939 zum Ältesten der Juden in Łódź bestimmt, 1940–1944 Leiter der jüdischen Verwaltung im Getto Litzmannstadt; er wurde im Aug. 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Skript

Handschriftl. Tagebuch

 

Den 21sten Januar

Wieder einmal wissen die Friedhofsarbeiter sich keinen Rat. Die Menge der Menschen, die täglich sterben, erschwert ihre Arbeit stark. Wie viele Gräber auch auf Vorrat gegraben werden, es sind immer zu wenig, das Leichenhaus ist ständig voll. Als Erste sind jetzt die deutschen Juden betroffen. Sie sterben zuhauf. Sie können der Kälte zusammen mit dem Hunger nicht standhalten. Sie sterben wie die Fliegen, und die Berge von Toten mehren sich. 600 Tote warten auf ihre jüdische Bestattung.

 

Den 23sten Januar

Wer hat Rumkowski gezwungen, im Getto ein zentrales Gefängnis zu schaffen, das später zu einem Schlachthaus für Tausende von Juden werden sollte? Wer hat Rumkowski gezwungen, Überfallkommandos und Sonderkommandos und weitere Kommandos zu schaffen, die den eigenen verfolgten Bruder treten sollen? War denn die normale Gettopolizei, die ihre Aufgaben durchgeführt hat, nicht genug?

Es ist bekannt, dass ein Diktator um sich herum kleine Diktatoren einsetzt, die die Befehle ihres Herrschers brutal ausführen. Deshalb hat Rumkowski um sich herum verschiedene Polizeikommandos geschaffen, damit das eine Kommando das jeweils andere zwingen soll, die Befehle des Hauptdiktators auszuführen.

Anfangs wurde die Polizei aus Menschen rekrutiert, die ganz oder teilweise zur Unterwelt gehörten. Später, als das Leben immer schwerer wurde und die Polizei sich derart aufführte, dass selbst Rumkowski von ihr an der Nase herumgeführt wurde, haben verschiedene Organisationen und Aktivisten sich an Rumkowski gewandt, er solle bessere und gesittetere Menschen in die Polizei aufnehmen. Die Intervention hat geholfen. Die Hälfte der bisherigen Polizei wurde aus den Revieren beseitigt, und es wurden Menschen aus der sogenannten besseren Gesellschaft aufgenommen. Im Allgemeinen war das Gettosystem ein Spiegelbild von Hitler-Deutschland, es gab unterschiedliche Arten Polizei, unterschiedliche Kommandos und unterschiedliche Kommissare.

Die Namen der unterschiedlichen Polizeikommandos sind:
Ordnungsdienstpolizei (O. D.). Ihre Aufgabe besteht darin, die Straßen zu überwachen, die Gettozäune und -tore wie auch die Arbeitsressorts zu bewachen und sich für jeden Auftrag bereitzuhalten. Die Polizei war in fünf Reviere aufgeteilt, und für jedes Revier war jeweils ein Polizeikommissar mit Gehilfen verantwortlich. Ihre Aufgabe war es, den zum Revier gehörenden Bezirk zu bewachen.
Überfallkommandopolizei (Ü.K.P.). Ihre Aufgabe besteht darin, ständig bereit zu sein, dort einzufallen, wo Unordnung herrscht, Demonstrationen auseinanderzutreiben, Gauner zu verhaften und überhaupt die ganze Gettobevölkerung in Angst zu versetzen.
Sonderpolizei (S.P.). Eine besondere Kontrollpolizei, deren Aufgabe es ist, die Wirtschaft im Getto zu überwachen. Die Sonderpolizei hat Zutritt zu allen Arbeitsressorts, zu allen Wirtschaftsorganisationen, zu allen kommunalen Bereichen des Gettos und die Kontrolle über die Gettopolizei.
Kriminalpolizei (K.P.). Die Aufgabe dieser Polizei ist es, die Kriminellen im Getto zu bekämpfen. Diese Polizei untersteht nur Rumkowski, dem Gericht und dem Gefängnis.
Küchenpolizei. Ihre Aufgabe ist es, alles zu überwachen, was in den Kochtopf hinein- und was aus ihm herauskommt, darüber zu wachen, dass die Küchenarbeiter nicht essen.

Im Allgemeinen sollte jeder Gettobewohner pro Tag eine Suppe bekommen und gemäß der Zuteilung des Küchenleiters auf 3⁄4 Liter Suppe 2 Dekagramm Kolonialwaren, 5 Deka Kartoffeln, 5 Deka Rüben. Fett kam überhaupt nicht vor. Das heißt, man tat zwar Fett in die Kessel, das sich aber, bis die Suppe zum Verbraucher kam, aufgelöst hatte. Ebenso war es mit den Kartoffeln. Nur selten bekam einer die ihm zustehende Kartoffelzuteilung. Das lag daran, dass sich das Küchenpersonal zuerst bediente. Das Fett und die festen Bestandteile aßen sie selbst, und das Wasser wurde verteilt.

 

Den 23sten Januar.
Heute wurde festgestellt, dass 50 Personen, die zu Lebzeiten einen Auswanderungszettel bekommen hatten, an Herzschlag verstorben sind. Sie alle konnten den großen Kummer nicht aushalten und ertragen, ihr Heim in einem so harten Winter verlassen zu müssen. Einige erlitten einen Herzschlag, als sie bereits angezogen waren, mit dem Gepäck auf den Schultern. Es ist möglich, dass wir später noch viel mehr erfahren über die schreckliche Tragödie der 10tausend aus dem Getto Evakuierten. Schon jetzt ist das Bild entsetzlich und grausam. Jeder zittert, wenn er sich erinnert, wie diese unglücklichen Juden fortgeschickt wurden. Die Feder muss erst noch geschaffen werden, die das Bild zeichnen könnte.