Dok. 10-021

Der Regierungspräsident in Litzmannstadt beschwert sich am 4. Oktober 1941 bei Himmler über die geplante Einweisung von 20 000 Juden und 5000 Roma und Sinti in das Getto


Der Gauleiter und Reichsstatthalter Arthur Greiser hat mich benachrichtigt, daß

Der Gauleiter und Reichsstatthalter Arthur Greiser hat mich benachrichtigt, daß

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Friedrich Uebelhoer (*1893), Offizier; 1919 Freikorps Lettow-Vorbeck; 1925–1927 NSDAP-Mitglied, Wiedereintritt 1929; 1933–1945 MdR, 1933–1940 Oberbürgermeister von Naumburg; 1934 SS-Eintritt; von Okt. 1939 an kommissar. Regierungspräsident in Kalisch, März 1940 bis Dez. 1942 Regierungspräsident in Litzmannstadt, vom Amt suspendiert; 1941 SS-Brigadeführer; Okt. 1943 bis 1945 kommissar. Regierungspräsident in Merseburg; 1950 für tot erklärt.

 

Arthur Greiser (1897–1946), Handelsvertreter; 1919–1921 beim Grenzschutz Ost; 1929 NSDAP-, SA- und 1931 SS-Eintritt; 1933/34 Senator für Inneres, Senatsvizepräsident und 1934–1939 Senatspräsident und stellv. Gauleiter von Danzig, 1939–1945 Gauleiter und Reichsstatthalter im Wartheland, 1940–1945 MdR; 1942 SS-Obergruppenführer; stellte sich im Mai 1945 den US-Truppen, an Polen ausgeliefert, dort 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Skript

Regierungspräsident Litzmannstadt, gezeichnet Uebelhoer

 

Der Gauleiter und Reichsstatthalter Arthur Greiser hat mich benachrichtigt, daß Anfang Oktober in das Ghetto Litzmannstadt 20 000 Juden und 5000 Zigeuner aus dem Altreich eingewiesen werden sollen.
Die Möglichkeit der Einweisung weiterer Juden in das Litzmannstädter Ghetto ist vor kurzem deshalb genau untersucht worden, weil beabsichtigt war, weitere Juden aus dem Warthegau in dieses Ghetto zu verbringen. Dabei hat sich herausgestellt, daß bei der jetzigen Struktur des Ghettos sowohl aus seuchen- und sicherheitspolizeilichen wie aus wehrwirtschaftlichen und ernährungspolitischen Gründen sowie aus Raummangel weitere Juden in das Ghetto Litzmannstadt nicht aufgenommen werden können.

Ich muß pflichtgemäß darauf hinweisen, daß bei dem heutigen Stand der Dinge im Ghetto Litzmannstadt eine weitere Einweisung auch von Altreichsjuden und darüber hinaus von Zigeunern nicht möglich ist. Wäre das Ghetto Litzmannstadt ein reines Dezimierungsghetto, dann könnte man an eine noch größere Zusammenpferchung der Juden denken, obwohl auch dabei zu beachten ist, daß beim Ausbruch von Seuchen, die ja nicht am Zaune haltmachen, eine äußerst starke Gefährdung der etwa 120 000 heute in Litzmannstadt lebenden Deutschen eintritt, da ja das Ghetto rings von Stadtteilen umgeben ist, in denen Deutsche wohnen. Nun ist es aber mit größten Anstrengungen gelungen, aus dem Ghetto Litzmannstadt ein Arbeitsghetto zu machen, in dem die Juden heute ihren Lebensunterhalt zu 80% selbst durch Arbeit verdienen. Die beabsichtigte und auch durchgesetzte Entwicklung der Judenkonzentration war doch so, daß die Juden in der ersten Zeit nur durch Hergabe ihrer Hamsterwaren die Güter ihres täglichen Bedarfs erhielten. Es war vorauszusehen, daß diese Art der Bestreitung des Unterhalts der Juden einmal ihr Ende nehmen mußte. Deshalb wurde sofort wohlüberlegt und tatkräftig die Heranziehung der Juden zur Arbeit organisiert mit dem Ziel, daß die Juden ausschließlich durch Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihren Anhang selbst verdienen sollten. Aufträge in einem gewaltigen Ausmaß waren für das Gelingen dieses Planes Voraussetzung. Diese Aufträge wurden unter Überwindung größter Schwierigkeiten fast ausschließlich von der Wehrmacht hereingeholt. Etwa 95% der Aufträge sind heute für die Wehrmacht auszuführen. Sie stellen einen Wert von 50–60 Millionen Reichsmark dar.

Eine Störung von außen, wie sie durch die Einweisung von weiteren 20000 Juden und 5000 Zigeunern unvermeidlich ist, zieht den Zusammenbruch des Wehrwirtschaftsgebietes mit heute noch unübersehbaren Folgen nach sich.

Die beabsichtigte Einweisung der Juden und namentlich Zigeuner bedingt die Schließung sämtlicher Ghettobetriebe und damit die Zurückgabe von über 400 Waggons Rohstoffe und Halbfertigfabrikate an die Wehrmacht. Ich bezweifle, daß das Oberkommando der Wehrmacht sich mit dieser Zurücknahme einverstanden erklärt. Es wird vielmehr schärfstens Einspruch erheben, weil es die Aufträge heute nicht anderweitig unterbringen kann. Man spricht im Reich von der Division Ghetto Litzmannstadt; denn die hier arbeitenden jüdischen Handwerker haben eine Division Handwerker im Reich für den Wehrmachtsdienst freigemacht. Selbst wenn aber, was ich nicht glaube, die Wehrmacht nicht Einspruch erhebt, dann geht der Abtransport der Waren bei der heutigen Transportlage nicht so schnell vonstatten. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr der Brandstiftung und damit der Vernichtung unersetzlicher Warenvorräte durch die Zigeuner. Diese Zigeuner mit ihrem Freiheits- und Wandertrieb werden eine dauernde Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Ghettos und nach nicht zu verhindernden Ausbrüchen für Stadt und Land von Litzmannstadt sein.