Dok. 08-275

Vladimir J. Davydov gibt am 9. November 1943 zu Protokoll,
wie er als Jude dem sogenannten Enterdungs-Kommando in Babij Jar zugeteilt wurde

Am 18. August wurden während des Morgenappells

Am 18. August wurden während des Morgenappells

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
Personen

Vladimir Jurevič Davydov (*1915), 25.6. bis 23.9.1941 in der Roten Armee, im März 1943 verhaftet, am 29. 9. 1943 aus dem Arbeitserziehungslager Syrec entflohen.

 

Skript

Protokoll der Befragung durch den Abteilungsleiter des NKGB (Volkskommissariat für Staatssicherheit) der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik im Gebiet Kiew

 

[...]

Am 18. August wurden während des Morgenappells unter uns Gefangenen 100 Personen ausgewählt, darunter auch ich.

Im Großen und Ganzen wurden Juden ausgesondert, die der Mitgliedschaft in der [bolschewistischen] Partei verdächtigt wurden, aber auch vollkommen unschuldige Greise. Nachdem die 100 Personen abgezählt waren, wurden wir von „SS“-Männern eskortiert und nach „Babij Jar“ geführt.

Wir gingen alle davon aus, dass man uns zur Erschießung nach „Babij Jar“ bringe, doch als wir dort ankamen, wurden wir nach etwa eineinhalb Stunden in Fünfergruppen eingeteilt und weggeführt. Als ich an der Reihe war, sah ich, dass man meine Kameraden, die vorher abgeführt worden waren, nicht erschossen hatte, sondern sie dort alle in Ketten gelegt saßen. Wir wurden also alle in Ketten gelegt, d. h. alle 100 Personen, mich eingeschlossen, und in sogenannte Erdhütten gepfercht.

Die gesamte Wachmannschaft in „Babij Jar“ bestand aus unteren und mittleren Rängen der „SS“.
Im Nachhinein fanden wir heraus, dass die geplante Aktion unter strengster Geheimhaltung stand und sich niemand „Babij Jar“ auf weniger als einen Kilometer nähern durfte. Aus diesem Grund gab es dort auch Sichtblenden. Aus Gesprächen der Deutschen entnahm ich, dass auf Anweisung Hitlers diese Arbeiten geheim gehalten werden sollten und niemand außer den obengenannten Personen davon erfahren sollte.

Anfangs wussten wir nicht, worin unsere Arbeit eigentlich genau bestehen würde, doch als wir dann mit Ausgrabungen begannen, stellten wir fest, dass wir die Leichen derjenigen freilegten, die im Jahr 1941 erschossen worden waren.
Nach einigen Tagen bot sich uns während der Ausgrabungsarbeiten (in dieser Zeit lagen wir schon in Ketten) ein furchtbarer Anblick, wir sahen, und hörten auch, den Gestank sich zersetzender Leichen. Wir wurden angetrieben, sehr schnell zu arbeiten, und hatten nicht einmal Zeit, uns [zwischendurch] aufzurichten.

In dieser Schlucht gab es Tausende von Leichen. Es gab zwei große Gräben mit etwa 50 000 Leichen von Juden, und dann gab es in „Babij Jar“, in etwa einem halben Kilometer Entfernung, noch eine weitere Grube mit Erschossenen. Genauer gesagt handelte es sich hier um einen Panzerabwehrgraben, in dem getötete Kommandeure der Roten Armee lagen, wahrscheinlich Kommissare. Das konnte man anhand der Rangabzeichen und Säbel erkennen.

In diesem Graben befanden sich etwa 20 000 Tote. Es handelte sich um Personen in Pilotenuniformen und Overalls. Es war offensichtlich, dass viele der Erschossenen verwundet gewesen waren, entweder hatten sie Krücken dabei oder trugen Verbände an Armen oder Beinen.

Immer wenn wir 2000 Leichen ausgegraben hatten, mussten wir einen Ofen bauen, für den wir Holz stapelten. Vom jüdischen Friedhof wurden Granitgrabsteine herangeholt und in Form eines Quadrats auf dem Boden angeordnet. Darauf wurden Eisenbahnschienen gelegt, die von einer Schicht Holz bedeckt wurden, auf die man wiederum die Leichen in einer bestimmten Weise anordnete (ein Deutscher, ein Ingenieur, der sich sehr gut auskannte, war mit diesem Arbeitsgang beschäftigt). So entstand ein Stapel von zehn bis zwölf Metern Höhe, der bis zu 3000 Leichen fasste.

Im Anschluss wurde eine Fackel an diesen Stapel gehalten, und er begann zu brennen. Auf diese Weise wurden die Leichen verbrannt, und es blieben nur Knochen zurück, die nicht vollständig verbrannten. Die Knochen wurden mittels spezieller Stampfwerkzeuge auf Blechen zermahlen und in den leeren Graben gestreut, der damit aufgefüllt wurde. Am Anfang brannte immer nur ein solcher Ofen, und jedes Mal, wenn ein Stapel heruntergebrannt war, wurde der Ofen zerstört, denn die Steine schmolzen und die Schienen verbogen sich. Daher musste man für jeden Stapel einen neuen Ofen bauen.

Da die Anzahl der Leichen sehr hoch war und es nur wenige Öfen gab, begann man, die Leichen an drei Orten gleichzeitig zu verbrennen. Die Zahl der Öfen, die zur selben Zeit brannten, stieg später auf vier. Über den gesamten Zeitraum der Leichenverbrennung hinweg wurden etwa 75 Öfen gebaut.

Weil ich diese gesamte Zeit über in „Babij Jar“ war, kann ich sagen, dass in diesen Öfen ungefähr 70 000 Leichen verbrannt wurden.


[...]

Am 25. oder 26. September, als die Arbeiten fast abgeschlossen waren, sollten wir noch einen weiteren Ofen bauen, für unsere eigene Vernichtung. Wir erkannten das daran, dass es in „Babij Jar“ bereits keine Leichen mehr gab, wir aber noch einen Ofen bauten. Deshalb wurde in der Nacht vom 28. zum 29. September ein Ausbruch organisiert. Wir besorgten einen Schlüssel für das Schloss an unserer Erdhütte, den Schlüssel hatte ein Gefangener namens Volodja hergestellt. Jeder von uns versuchte mit allen Mitteln, die Ketten aufzubekommen, manche mit einer Schere, andere mit einem Messer.

Gegen drei Uhr nachts wurde das Schloss geöffnet, und etwa 40 Minuten später begannen wir herauszuklettern.
Wir hatten vor, die Wachmänner anzugreifen, aber wir hatten Angst, dass sie das Feuer eröffnen würden. Oberhalb der Erdhütte saß ein MG-Schütze.

Als die Wachen und der MG-Schütze unsere Flucht bemerkten, sprangen sie zunächst zur Seite und schossen dann auf uns.
Etwa 35 bis 40 Personen flohen aus der Erdhütte, aber offenbar haben von diesen nur etwa zehn überlebt.