Dok. 01-248

Staatssekretärsbesprechung im Reichsinnenministerium am 29. September 1936 über die weitere Gestaltung der antijüdischen Politik

Vermerk (geheim) Reichsministerium des Innern, gezeichnet

Vermerk (geheim) Reichsministerium des Innern, gezeichnet

Personen

Dr. Wilhelm Stuckart (1902–1953), Jurist; 1922 NSDAP- und 1936 SS-Eintritt; von Juni 1933 an Staatssekretär im preuß. Unterrichtsministerium, von 1935 an Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, 1942 Teilnehmer der sog. Wannseekonferenz; 1945–1949 interniert, 1949 im Wilhelmstraßenprozess verurteilt, 1950 bei der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft.

 

Walther Sommer (1893–1946), Jurist; 1928 NSDAP-Eintritt, 1936–1942 SS-Mitglied; 1925–1934 im thür. Ministerium des Innern tätig, zuletzt als Ministerialrat, 1934 beim Stab des StdF (Stellvertreter des Führers), dort Leiter der Staatsrechtlichen Abt., von 1941 an Präsident des Reichsverwaltungsgerichts, 1942 Rücktritt, um Amtsenthebung zuvorzukommen; 1946 nach Todesurteil in der Sowjetunion hingerichtet.

 

Dr. Hans Ernst Posse (1886–1965), Jurist; von 1924 an Ministerialdirektor und Leiter der zoll- und handelspolitischen Abteilung im Reichswirtschaftsministerium, von 1935 an Staatssekretär im RWM.

 

Dr. Kurt Blome (1897–1969), Mediziner; 1920 Teilnahme am Kapp-Putsch, 1922 NSDAP- und 1931 SA-Eintritt; 1924–1934 Arzt in Rostock; von 1934 an im NSDAP-Hauptamt für Volksgesundheit tätig, 1939–1945 Stellvertreter des Reichsärzteführers sowie stellv. Leiter des NS-Ärztebunds und des NSDAP-Hauptamts für Volksgesundheit; 1942–1945 Bevollmächtigter für biologische Waffenforschung; 1948 im Nürnberger Ärzteprozess freigesprochen, von 1948 an Arzt in Dortmund.

Skript

Vermerk (geheim) RMdI [Reichsministerium des Innern], gez. Stuckart (Abschrift)


Vermerk über die Besprechung am 29. September 1936

[…]


Staatssekretär Dr. Stuckart legte einleitend dar, die Besprechung diene der Vorbereitung einer Chefbesprechung über die Judenpolitik. Zur Regelung der wirtschaftlichen Stellung der Juden sei es notwendig, die grundsätzliche Richtung der gesamten Judenpolitik und damit die Einheitlichkeit aller judenpolitischen Massnahmen sicherzustellen. Die wirtschaftliche Stellung der Juden müsse jetzt geklärt werden, um der Gefahr vorzubeugen, dass die Juden in wirtschaftlicher Beziehung in Deutschland neue Positionen gewinnen. […]

Ministerialdirektor Sommer führte aus: Vom Standpunkt der NSDAP aus könne entsprechend dem Parteiprogramm die Judenfrage erst dann als gelöst angesehen werden, wenn es in Deutschland keinen Juden mehr gibt. Dieses Endziel stehe fest. Die jetzige Lösung könne nur als eine Teillösung zu diesem Ziel angesehen werden. Es könne sich daher nur darum handeln, Mass und Tempo der einzelnen Massnahmen zu bestimmen.

Staatssekretär Dr. Posse erklärte, […] [n]ach dem jetzigen Zustand würde praktisch verschiedenerlei Recht gelten. Der staatliche Grundsatz sei, den Juden freie wirtschaftliche Betätigung zu gewähren. Die Durchführung dieses Grundsatzes sei nicht einheitlich. Der Grundsatz wird besonders in den Verwaltungen nicht durchgeführt, die stärker an die Partei angelehnt seien, wie etwa im Geschäftsbereich des Propagandaministeriums oder des Ernährungsministeriums. Andererseits wurden die Juden dadurch, dass sie von vielen Berufen schlechthin ausgeschlossen sind, zwangsläufig in die wirtschaftliche Betätigung gedrängt. Dem Wirtschaftsministerium komme es darauf an, eine klare Rechtslage zu bekommen. Es müsse daher in erster Linie eine Angleichung der bestehenden verschiedenen Auffassungen erfolgen.

Staatssekretär Dr. Stuckart wies darauf hin, dass über das endgültige Ziel der Judenpolitik keine Meinungsverschiedenheit bestehen könne: es sei restlose Auswanderung, denn für den Staat sei ebenfalls das Parteiprogramm massgebend[ende] […] Richtlinie und Masstab für das Tempo der Auswanderung müsse der jeweilig grösstmögliche Nutzen für das deutsche Volk sein. […] Es sei notwendig, alle Massnahmen auf dieses Ziel auszurichten. […] Wirtschaftliche Betätigung von Juden dürfe nur in dem Rahmen gestattet sein, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienten, ohne dass aber durch ihre wirtschaftliche und politische Lage ihr Auswanderungswille verschwände. Letzten Endes müsse in Betracht gezogen werden, die Auswanderung auch zwangsweise durchzuführen. […]

Ministerialdirektor Sommer wies darauf hin, dass reiche Juden im allgemeinen nicht gern auswandern werden. Man dürfe also den Juden nicht allzu grosse Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Betätigung offen lassen. Andererseits solle aber auch die Bildung eines jüdischen Proletariats verhindert werden. […]

Reichsamtsleiter Dr. Blome vertrat die Auffassung, erster Grundsatz müsse sein, Auswanderung der Juden unter allen Umständen. Man solle keine nur auf Palästina eingestellte Auswanderungspolitik treiben.

Staatssekretär Dr. Posse wies darauf hin, dass dann, wenn die Auswanderung der Juden mit Hilfe ausländischen Geldes ermöglicht werde, eine Einflussnahme auf die Wahl des Ziellandes nicht gegeben sein wird.

Staatssekretär Dr. Stuckart erklärte abschliessend, dass selbstverständlich die Auswanderung der Juden ohne Rücksicht auf das Zielland gefördert werden müsse, dass aber deutsche Mittel in erster Linie für Palästina angesetzt werden könnten.

[…]