Dok. 01-039

Ein Bonner Bürger protestiert bei Göring am 3. Mai 1933 gegen die Verfolgung der deutschen Juden

Sehr verehrter Herr Minister-Präsident!
Der unvergleichlich schöne Verlauf der Maifeier

Sehr verehrter Herr Minister-Präsident!
Der unvergleichlich schöne Verlauf der Maifeier

Orte

._._._ Staatsgrenzen von 1937

Skript

Handschriftl. Brief von A. Müller, Bonn, an Ministerpräsident Hermann Göring

 

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident!

Der unvergleichlich schöne Verlauf der Maifeier in ganz Deutschland ist ein neues Ruhmesblatt in den wundervollen Erfolgen unseres altverehrten Herrn Reichskanzlers. Er hat durch die früher [für] unmöglich gehaltene Einigung des deutschen Volkes soviel Schönes und Gutes erreicht, daß man nicht daran denken mag, daß es einmal wieder anders sein könnte, aber gerade die Sorge, daß dies doch geschehen könnte, veranlaßt mich zu nachstehenden Zeilen.

Ich will mich ganz kurz fassen, es ist die Judenfrage. Ich bin waschechter „Arier“, habe auch nat.soz. gewählt, aber mit der Lösung der Judenfrage kann ich mich (in Übereinstimmung mit den meisten meiner Landsleute) nicht einverstanden erklären.

Das „Volk“ kennt eigentlich keine Judenfrage, sondern nur die Behörden, die sie allerdings leider in das Volk tragen.

Auch im Mittelalter gab es Judenverfolgungen, diese hatten aber immerhin einen idealen Zweck, näml. die restlose Ausbreitung des Christentums. Wenn der Jude „Christ“ geworden war, hörte seine Verfolgung auf. Heute wird aber nicht mehr die Religion, sondern die Rasse bekämpft. Die Katholiken lehnen dies als unchristlich ab, wir sollen alle Menschen lieben, auch die anderen Rassen, Neger, Japaner, Chinesen und Juden, da ist kein Unterschied zu machen. Bei der jüdischen Rasse kommt aber noch besonders in Betracht, daß das Christentum aus dem Judentum seinen Ursprung nimmt. Der Sohn Gottes ist ni[cht] bei den alten Germanen Mensch geworden, sondern bei den Juden. Auch seine Mutter, sein Pflegevater und seine Verwandte[n] gehörten der jüdischen Nation an. Wie ist es da möglich, daß ein Christ die jüdische Nation haßt? Die Meßgebete der kathol. Kirche, die Gewänder ihrer Priester, die „Gebote“ sind jüdischen Ursprungs. Also kurz: Wir Katholiken lehnen diesen Haß ab […]. […]

Nun noch die praktische Seite der Judenfrage:

Die Juden dürfen nicht „Beamte“ werden, sie dürfen nur in beschränktem Maße studieren und „gelehrte Berufe“ ausüben, kein „Arier“ darf sie aber in Anspruch nehmen oder von ihnen etwas kaufen, ja wovon sollen die Leute denn leben? Auswandern dürfen sie auch nicht, wenigstens nicht ihr Vermögen mitnehmen, außerdem würden die anderen Staaten sich wohl der Masseneinwanderung widersetzen, was soll also mit ihnen geschehen? Sie bilden also schließlich einen Staat im Staate, wie es in den schlimmsten Zeiten des Mittelalters der Fall war, ein Zustand, der sich bestimmt nicht bewährt hat.

Dieser Standpunkt ist des deutschen Volkes unwürdig und zieht ihm auch die Feindschaft des Auslandes zu. Wenn Juden gefehlt haben, sollen sie bestraft werden, aber die meisten Juden in Deutschland sind doch kleine, durchaus harmlose Leute, die wir uns vielleicht nicht zu unseren Freunden und zum persönlichen Verkehr aussuchen, die aber weiter nichts verbrochen haben, als daß sie eben Juden sind. Das geht nicht, damit muß ein Ende gemacht werden.

Ich bitte Sie, verehrter Herr Ministerpräsident, hierfür zu sorgen.

Mit vorzüglicher Hochachtung