Dok. 09-063

Der Arzt Zygmunt Klukowski führt vom 8. bis 13. April 1942 Tagebuch über die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Zamość und die Stimmung unter den Juden in Szczebrzeszyn


In der Stadt herrscht große Angst vor Verhaftungen und Repressionen. Abends

In der Stadt herrscht große Angst vor Verhaftungen und Repressionen. Abends

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
Personen

Dr. Zygmunt Klukowski (1885–1959), Arzt; Medizinstudium in Moskau und Krakau, 1920–1946 Direktor des Krankenhauses in Szczebrzeszyn; im Sept. 1939 Kriegsteilnahme in Ostpolen, wurde nach seiner Rückkehr mehrmals kurzzeitig verhaftet, 1941–1944 im poln. Untergrund tätig; nach Kriegsende vom poln. Staatssicherheitsdienst verfolgt, 1951 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt (nach einem Jahr entlassen); von Juni 1939 bis 1945 führte er Tagebuch.

Skript

Handschriftl. Tagebuch

 

8.4.

[…] In der Stadt herrscht große Angst vor Verhaftungen und Repressionen. Abends, als es dunkel wurde, zeigte sich bereits niemand mehr auf der Straße. – Unter den Juden schreckliche Niedergeschlagenheit. Wir wissen jetzt schon ganz sicher, dass täglich ein Zug aus Richtung Lublin und einer aus Lemberg in Bełżec ankommt, mit jeweils mehr als 20 Waggons. Hier lassen sie die Juden aussteigen, treiben sie hinter die Stacheldrahtumzäunung, bringen sie mit elektrischem Strom um oder vergiften sie mit Gas, und anschließend verbrennen sie die Leichen. Unterwegs sehen Leute – vor allem Eisenbahner – schreckliche Szenen, weil die Juden schon genau Bescheid wissen, wohin und wozu man sie wegbringt. Man gibt ihnen weder zu essen noch zu trinken. Auf dem Bahnhof von Szczebrzeszyn haben die Eisenbahner mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört, wie ein Jude durch das Waggonfenster 150 Złoty für ein Kilo Brot gab und wie eine Jüdin ihren goldenen Ring vom Finger nahm und ihn für ein Glas Wasser für ihr sterbendes Kind anbot. – Einwohner von Lublin erzählten mir unglaubliche Dinge, die dort mit den Juden geschehen. Kleine Kinder werden aus dem Fenster geworfen, Kranke an Ort und Stelle, Gesunde außerhalb der Stadt erschossen. Zu Tausenden werden sie nach Bełżec gebracht. –

 

11.4.

Die Juden erhielten die Nachricht – und ihr Nachrichtendienst funktioniert gut –, dass heute die Juden aus Chełm weggebracht wurden, und der Zug, der sog. „Judenzug“, nachdem er seine Fracht in Bełżec gelassen hatte, leer nach Zamość gefahren sei. – Gegen Abend verbreitete sich die Nachricht, Zamość sei bereits umstellt. Sie wissen also, dass in Zamość Razzien auf die Juden beginnen und dass sie in den Tod deportiert werden. In unserem Städtchen herrscht unbeschreibliches Entsetzen. Manche haben vollkommen resigniert, andere laufen wie Wahnsinnige durch die Straßen – suchen Rettung. Alle sind davon überzeugt, dass in Szcz. jeden Augenblick das Gleiche passieren kann. Bei mir melden sich sehr viele Juden mit der Bitte, ins Krankenhaus aufgenommen zu werden. Ich sage ihnen ab, um dem Verdacht zu entgehen, dass ich bei mir Juden verstecke. Ich nehme nur Frauen kurz vor der Niederkunft und Notfälle auf, denn so lautet die Anweisung.

 

12.4.

Auf verschiedenen Wegen erreichten uns Nachrichten aus Zamość, dass sich dort – wie vorhersehbar war – schreckliche Dinge ereignet hätten. Angeblich seien etwa 2500 Juden weggebracht, ein paar Hundert an Ort und Stelle getötet worden. Es heißt, manche Juden sollen Widerstand geleistet haben. Einzelheiten kennen wir nicht, und überhaupt wissen wir nichts Sicheres. Unter unseren Juden eine geradezu panische Stimmung. Alte Jüdinnen haben heute auf dem jüdischen Friedhof übernachtet. Sie wollen lieber hier sterben, in ihrem Städtchen, zwischen den Gräbern ihrer Angehörigen, als irgendwo in Bełżec nach vorangegangenen Qualen. Manche riskieren, aufs Land zu fliehen. Sehr viele bereiten an Ort und Stelle Verstecke vor. Andere wiederum schicken ihre Kinder in die Obhut vertrauenswürdiger Arier nach Warschau.

 

13.4.

Die Nacht verlief ruhig, aber die Panik unter den Juden hat noch weiter zugenommen. Seit dem Morgen erwarteten sie stündlich das Auftauchen der Gendarmen und Gestapoleute. Ein bedeutender Teil der Juden ist irgendwohin verschwunden – sie haben die Stadt verlassen oder sich versteckt, man weiß nicht wo. Andere brachten fieberhaft etwas weg, erledigten irgendwelche dringenden Angelegenheiten. In die Stadt strömte allerhand Abschaum, es kamen viele Fuhrwerke aus den Dörfern, und alles wartete den ganzen Tag darauf, mit dem Raubzug zu beginnen. Von verschiedenen Seiten kommen Nachrichten über das skandalöse Verhalten der polnischen Bevölkerung, über das Ausrauben verlassener jüdischer Wohnungen. In dieser Hinsicht wird unser Städtchen mit Sicherheit nicht zurückstehen.

Die Juden haben Bürgern aus der Stadt und Bauern vieles zur Aufbewahrung hinterlassen. Den ganzen Tag lang schleppten sie irgendwelche Bündel, Körbe, Nähmaschinen usw. Für das Verstecken von Kindern und Erwachsenen wurden im Laufe einiger Tage riesige Geldsummen angeboten, aber die Bauern in den nahegelegenen Dörfern haben Angst, denn für das Verstecken von Juden droht die Todesstrafe, und Spitzel gibt es überall zuhauf. Mehr Kinder werden in entfernter liegende Dörfer gebracht, das weiß ich genau. – Am Nachmittag waren fast keine Juden mehr zu sehen. Dies führte gleich zu einem erheblichen Rückgang der Preise für Agrarprodukte, weil die kaufenden Juden fehlten. – Auch unter allen übrigen Einwohnern enorme Anspannung. Viele möchten, dass es schnell vorbeigeht – so oder so, denn die panische Stimmung unter den Juden teilt sich doch allen mit.

[…]