Dok. 03-316

Jiři Münzer schreibt am 14. September 1941 über die bevorstehende Kennzeichnung und das Verbot, den Wohnort zu verlassen

Dies war eine der traurigsten Wochen, die ich je erlebt habe. Es

Dies war eine der traurigsten Wochen, die ich je erlebt habe. Es

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Grenzen der Oberlandratsbezirke nach der Gebietsreform von 1940 (im Protektorat Böhmen und Mähren)
Personen

Jiří Münzer (1923–1943), Schüler; wohnte in Hohenbruck, Mitglied der zionistischen Organisation El Al in Königgrätz, Fabrikarbeit; am 21.12.1942 aus Königgrätz nach Theresienstadt deportiert, meldete sich freiwillig für den Transport am 6.9.1943 nach Auschwitz, um seine Freundin Ilsa Polláková begleiten zu können, und wurde dort ermordet.

 

Vermutlich: Maximilian Mahler (1886–1944), Ingenieur; wurde am 21.12.1942 aus Königgrätz nach Theresienstadt deportiert.

Otylie Mahlerová, geb. Nohel (1889–1944), Hausfrau; wurde am 21.12.1942 aus Königgrätz nach Theresienstadt, am 16.10.1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

 

Vermutlich: Dr. Julius Neu (1887–1943), Jurist, Anwalt; wurde am 21.12.1942 aus Königgrätz nach Theresienstadt deportiert, wo er zweieinhalb Monate später starb.

 

Ilsa Polláková, geb. Töpfer (*1917), Studentin; aktiv in der zionistischen Bewegung; am 21.12.1942 aus Königgrätz nach Theresienstadt, am 6.9.1943 mit ihrer Mutter weiter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet; nach dem Krieg für tot erklärt.

 

Vermutlich Jiří (Jirka) Fränkl oder Jiří (Jirka) Brod.

Jiří (Jirka) Fränkl (1921–1994), Lehrer, Schriftsteller; am 21.12.1942 aus Königgrätz nach Theresienstadt und am 18.12.1943 nach Auschwitz deportiert, wo er im Kinderblock arbeitete, am 1.7.1944 nach Schwarzheite zur Zwangsarbeit verschleppt, auf dem Todesmarsch nach Lübeck von der Roten Armee befreit; nach 1945 als Lehrer tätig; nach 1968 Emigration der Familie nach Großbritannien; verfasste u.a. Erinnerungen an Jiří Münzer und dessen Freundin Ilsa Polláková.

Jiří (Jirka) Brod (1922–1943); Schüler; wohnte in Kratonohy; aktiv in der zionistischen Bewegung; zunächst nach Theresienstadt, am 29.1.1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ota Klepetář (*1900), Zahnarzt; wurde am 9.12.1942 aus Pardubitz nach Theresienstadt, von dort am 23.1.1943 nach Auschwitz deportiert, wo er umkam.

Skript

Handschriftl. Tagebuch

 

Dies war eine der traurigsten Wochen, die ich je erlebt habe. Es wurde nämlich bekannt gegeben, dass wir mit Sternen gekennzeichnet werden und uns nicht von unserem Aufenthaltsort entfernen dürfen. Die Abzeichen würde ich gutheißen – warum sollte ich nicht allen zeigen, dass ich ein Jude bin und stolz darauf –, wenn wir nur in Königgrätz blieben. So bedeutet das aber, dass ich Hohenbruck nicht verlassen darf, und da von dort auch niemand nach Hohenbruck darf, sind wir völlig eingesperrt. Ich denke ständig daran, dies ist das erste Verbot, das mich richtig getroffen hat, und zwar in meinen innersten Gefühlen.

Ich sehe jetzt, wie wenig mir an materiellen Dingen liegt, wenn ich nur mit Menschen zusammen sein kann, die ich mag. Es überfällt mich hilflose Wut, weil ich daran nichts ändern kann und weil das alles kein Ende nimmt.

Ich bin kein neidischer Mensch, dieses Mal aber doch: Den Mahlers gönne ich es wirklich aufrichtig, dass sie eine Wohnung gefunden haben, trotzdem beneide ich sie sehr. Sie werden bei Dr. Neu wohnen, etwa hundert Schritte vom Haus entfernt, in dem Ilsa wohnt, während ich dreizehn Kilometer von Königgrätz entfernt wohne und nicht hingehen darf.

Es war so schon [schlimm] genug, und als ich mich damit einigermaßen abgefunden und mir gesagt hatte, dass die Woche immer schnell vorbei ist und ich Samstag und Sonntag in Königgrätz sein kann, kam nun dies.

Die Oma fühlt sich auch immer noch nicht gut, und man hilft ihr nicht.

Während der Woche war ich jeden Tag zu Hause, und abends war ich viermal bei Ilsa. Gestern hatten wir die Sichot bei den Frischmanns – Jirka sprach über die Zeit vor Christus. Es tut mir auch leid, dass ich jetzt nicht mehr zu den Sichot gehen kann, aber mit der Arbeit werde ich nicht aufhören.

Heute hatten wir kein Ivrit, denn Herr Doktor ist schon umgezogen – vormittags war ich bei der Oma im Krankenhaus, es kam auch Onkel Otta, mit dem wir dann Opa entgegengingen.

Am Nachmittag war ich kurz bei den Müllers, bei Bertík und dann bis Abend bei Ilsa. In besonders fröhlicher Stimmung waren wir nicht.

Diese Woche wurde außerdem die Konskription der jüdischen Fahrräder und Schreibmaschinen befohlen – meine Schreibmaschine und mein Fahrrad habe ich gemeldet.

Im Krieg nichts Neues.