Dok. 11-161

Felicja Schäftler schildert in ihrem Tagebuch im August 1944 die ersten Eindrücke von ihrer Arbeit im HASAG-Lager Leipzig

Endlich gehen wir zur Arbeit. Unser Block muss heute

Endlich gehen wir zur Arbeit. Unser Block muss heute

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  •  
Personen

Felicja Schäftler, geb. Bannet (*1910), Modistin; verheiratet mit dem Anwalt Adam Schäftler; von 1940 an bei der Jüdischen Sozialen Selbsthilfe in Krakau, nach Auflösung des Gettos im März 1943 in das Lager Plazow deportiert, im Nov. 1943 in das HASAG-Lager Skarzysko-Kamienna, von dort am 4.8.1944 nach Leipzig; Juni 1945 Rückkehr nach Krakau.

Skript

Endlich gehen wir zur Arbeit. Unser Block muss heute gleich zuallererst zur Nachtschicht. Ein bisschen haben wir uns in dieser Woche erholt, aber unsere Nerven haben die Untätigkeit nicht mehr ausgehalten. Es drückt uns die Angst, dass es womöglich gar keine Arbeit in der Fabrik gibt. Nicht im Sinne des grausamen Spruchs an den Konzentrationslagertoren: „Arbeit macht frei!“ Die Arbeit erlaubt uns, weiter am Wettkampf teilzunehmen: Sieg der Alliierten und Befreiung oder Tod durch die Hände der Deutschen. Nicht enden wollende Reihen von fast 4000 Frauen in Häftlingsanzügen laufen zur Arbeit durch die bevölkerten Straßen des Leipziger Vorortes Leipzig-Schönefeld. 5000 weitere hatten in dieser Woche Tagschicht, etwa 1000 arbeiten nur am Tage. Niemand beachtet uns; die Deutschen sind diesen Anblick schon gewohnt. Jede Gruppe aus einigen Hundert Frauen wird „Kommando“ genannt und muss in einer anderen Abteilung der Fabrik arbeiten. Unser „Kommando“ soll vermutlich bei „ESZü“ sein. Der Teufel weiß, was das bedeutet. Wir können uns nur denken, dass „Zü“ eine Abkürzung für Zünder ist, wir werden also vermutlich Zünder für Granaten herstellen. Auf beiden Seiten des Weges stehen gewaltige Fabrikgebäude aus roten Ziegeln und Produktionshallen. Dieses Hauptwerk der HASAG (Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft) zieht sich auf einer Fläche von mindestens 10 km hin. Ein kolossaler, imponierender, überwältigender Komplex. Endlich stehen wir vor dem Tor. Meldungen, Schreie und ein weiterer Weg durch Gebäude und Hallen. Endlich angekommen. Wieder wird gezählt, schnell, schnell, denn schon kommen die Meister, um uns abzuholen. Der kleine, dünne Friedrich übernimmt unsere Gruppe. Er wählt zuerst die Jüngsten, dann die Größten aus; 20 bis 30 Frauen gehen in die Halle. Wir kriegen Gänsehaut von der nervösen Anspannung. Friedrich ist angeblich als mieser Hund bekannt. Aber lieber so einen als gar keinen. Was passiert mit den anderen, die er nicht wollte? Es ist klar, dass es für die, die nicht gebraucht werden, nur einen Weg gibt – den letzten. Wir gehen jedoch alle. Mit einem Gefühl der Erleichterung atmen wir tief durch – die stickige Luft der Halle. Meine Gruppe bekommt die schwerste Arbeit zugewiesen, über die Friedrich verfügt, „Öl“ und „Bohrer“. Wir stehen an den elektrischen Werkzeugmaschinen, um wieder für die Kraft Deutschlands zu arbeiten, also gegen uns selbst.