Dok. 13-012

Béla Weichherz beschreibt Ende August 1939 die Auswirkungen der antisemitischen Maßnahmen in der Slowakei auf seine Familie

Dann kamen aber böse Zeiten, deren Ende noch unabsehbar ist

Dann kamen aber böse Zeiten, deren Ende noch unabsehbar ist

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
Personen

Béla Weichherz (*1892), Vertreter bei der Firma Philips; wurde am 6.6.1942 von Žilina nach Lublin/Majdanek deportiert und kam dort um.

 

KittyWeichherz (*1929), Schülerin, Tochter von Béla und Estera Weichherz; sie wurde am 6.6.1942 von Žilina in das Vernichtungslager Sobibor deportiert und kam dort um.

Skript

Handschriftl. Tagebuch

 

Das Schuljahr 1938/39 hat noch, nach schön und ruhig verbrachten Ferien, normal begonnen. Dann kamen aber böse Zeiten, deren Ende noch unabsehbar ist. [...] Am 6. Oktober wurde die Slowakei in Žilina zu einem autonomen Gebiet erklärt. Dann begannen die Verhandlungen mit Ungarn, welche mit einem Schiedsgerichtsverfahren in Wien endeten und dem zufolge von der Slowakei 1 Million Einwohner an Ungarn abgetreten wurden. Gleichzeitig begannen Judenhetzen aufzutreten. Hauptsächlich dort, wo Deutsche wohnen, also Preßburg, Bösing und Tyrnau. Nach deutschem Muster wurde eine sogenannte Hlinková Garda. organisiert, deren oberster Kommandant Karl Sidor war. Die antisemitische Strömung setzte sich alsbald auch in den Schulen durch. Kittys Lehrer machte mich schon im Oktober darauf aufmerksam, daß die jüdischen Kinder aus den Staatsschulen ausgeschlossen würden. Ich war schon fast entschlossen, daß wir uns alle taufen lassen, doch konnte ich es doch nicht fertigbringen. So geschah es, daß Kitty gegen Mitte Februar mit mehreren anderen Kindern aus der Stefanikschule entfernt wurde. Kitty ist mit einem verzweifelten Schluchzen nach Hause gekommen. Sie wurde dann in die Neologenschule eingeschrieben, wo sie das Schuljahr beendete. Das ganze Schuljahr war im Grunde genommen nicht viel wert, denn zufolge der vielen politischen Erschütterungen waren die Schulen oft gesperrt, besonders nach dem 19. März, als die Slowakei zum selbständigen Staat erklärt wurde und Böhmen und Mähren sich demzufolge an Deutschland angeschlossen haben und ein „Protektorat“ wurden. Im selbständigen Staat wurden die Maßnahmen gegen die Juden immer schärfer. Abgesehen davon, daß Plünderungen von jüdischen Geschäften und Insultierungen auch am hellichten Tage jetzt schon an der Tagesordnung waren, begann man, die Juden auch aus ihren Stellungen herauszudrängen. Ich war zwischen den Ersten, die ihren Posten verloren haben. Am 30. März wurden von Philips sämtliche Juden entlassen. Ich habe dann versucht, bei Hudoba in Žilina mich unterzubringen, doch konnte ich mich dort nur 2 1⁄2 Monate halten. Kitty ist mit Mutti am 15. Juni nach Čadca gefahren. Wir hatten aber auch kein eigenes Heim mehr. Am 1. August kam ich auch nach Čadca. – Bis zur Hälfte des Monats war das Leben hier noch ziemlich ruhig,

dann hat sich aber der Zwist zwischen Deutschland und Polen sehr zugespitzt. Die Lage wird von Tag zu Tag ernster. Die Grenzen starren von deutschem Militär. Da man nicht weiß, ob man nicht Čadca evakuieren wird oder ob es nicht zu einer Flucht, im Falle einer Beschießung, kommen wird, haben wir Kitty mit Hella und Bibin nach Mošovce geschickt. Dies geschah am 28. August. Ich habe sie bis nach Mošovce begleitet, und [sie] sind dort glatt angekommen.