Dok. 12-106

Toni Ringel beschreibt am 15. Februar 1943 einen Konflikt mit der niederländischen Familie, bei der sie sich versteckt

Ein kleiner Vorfall. Der jüngere Sohn der „Hausherrin” folgt

Ein kleiner Vorfall. Der jüngere Sohn der „Hausherrin” folgt

Orte

   Grenze Staatsgrenzen von 1937

Personen

Taube (Toni) Ringel, geb. Hammersfeld (1888–1980); emigrierte 1933 aus
Frankfurt a. M. nach Spanien, 1936 von dort in die Niederlande; sie lebte von Sept. 1942 bis 1945 im Versteck; 1947 Emigration in die USA.

 

Barendina Veitz-Hooijberg (1895–1981), Plättnerin; von Sept. 1942 bis Mai 1945 lebte das Ehepaar Ringel in der Wohnung ihrer Familie in der Van Speijkstraat.

 

Totje, richtig: Cato Rosetta Parfumeur, (1920–2009) war die Verlobte von Adolf Ringel, dem älteren Sohn von Toni Ringel. Beide entkamen im Herbst 1942 nach Spanien, gingen bis Kriegsende nach Großbritannien und lebten später in den USA.

Skript

Tagebuch: An unsere geliebten Kinder

 

[…]

Ein kleiner Vorfall. Der jüngere Sohn der „Hausherrin“ folgt mir – möglicherweise auf ihre Anordnung – überallhin. In der ersten Woche war es mir nicht aufgefallen, weil ich zu viel im Kopf hatte. Aber nach und nach dämmerte es mir, und ich fühlte mich zutiefst beleidigt. Als die Hausherrin nach Hause kam, suchte ich sie in der Küche auf und sagte ihr: „Morgen werde ich in die Stadt gehen und mich nach einer anderen Zufluchtsstätte umsehen. Und ich hoffe, eine zu finden. Wenn nicht, werden wir uns stellen. Mit dem Geld, das uns geblieben ist, stehen die Chancen gut, dass wir etwas Passendes finden werden. Ich bin mir der Tatsache bewusst, heimatlos zu sein, aber das bedeutet nicht, dass ich mir Ihre Beleidigungen anhören muss. Ich spucke auf Ihre Reichtümer, worin sie auch bestehen mögen. Ich brauche nichts von Ihren Habseligkeiten und würde mir die Hände nicht schmutzig machen, indem ich sie auch nur berühre.“ Ich war so verbittert und gekränkt, dass ich ihr ins Gesicht schrie: „Sie haben nicht einmal genug, um meine alten Schuhe zu bezahlen.“

Natürlich konnte ich ihr nicht sagen, dass sie andere nach ihren eigenen Taten beurteilte. Wenn sie zum Beispiel Handtücher benötigt, nimmt sie ein teures, mit einer Initiale versehenes Badehandtuch aus Hedwigs Koffer, schneidet es in Streifen und schon hat sie sechs Handtücher. Wenn sie Bettlaken braucht, nimmt sie sie aus dem Hab und Gut von Totjes Eltern. Und auf diese Weise klaut sie noch viele andere Dinge. – Die Frau wusste nicht, was sie antworten sollte. Unter keinen Umständen wollte sie, dass wir gingen. Sie hatte auch nicht damit gerechnet, Derartiges von mir zu hören, aber, meine lieben Kinder, sie war sichtlich beeindruckt, und ich wurde nicht wieder belästigt.