Bericht, ungez., o.D.
1. Die Situation der Juden in Mährisch-Ostrau
Mährisch-Ostrau hatte Anfang 1939 ca. 8000 jüdische Einwohner. Heute beträgt die Zahl nur mehr etwa 2200. Davon sind nur rund 400 männlichen Geschlechtes. Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung ist überaltert, die anderen sind Frauen und Kinder, deren Familienoberhäupter im Herbst vorigen Jahres abtransportiert worden sind.
Die jüdische Gemeinde Mährisch-Ostraus hat in einer Weise gelitten, wie keine andere Gemeinde im Protektorate und im Großdeutschen Reiche. Die Juden in Mährisch-Ostrau haben ihr Vermögen eingebüßt, indem ihnen Schmuck, Bargeld, Bankbücher, Schreibmaschinen, Fotoapparate, Radios, Autos usw. abgenommen wurden. Sie sind auch nicht im Genusse ihres immobilen Eigentumes, da dieses zwangsverwaltet wird. Die Geschäfte sind fast alle arisiert oder kommissarisch geleitet.
Die Juden Mährisch-Ostraus stehen nicht mehr im Erwerbsleben, von den genannten 2200 Menschen leben 1500 von der sozialen Unterstützung der Kultusgemeinde. Diese hat unter schwersten Verhältnissen Institutionen geschaffen, wie sie beispielgebend für andere Gemeinden des Protektorates geworden sind: 2 Küchen, 2 Altersheime, 1 Ambulatorium, Umschulungskurse, Soziale und Jugendfürsorge. Derzeit wird auch ein jüdisches Spital eingerichtet, ohne das nicht ausgekommen werden kann.
Die Kultusgemeinde in Mährisch-Ostrau hat aber auch aus eigenen Mitteln die ganzen Polen-Transporte mit Sanitäts- und Baumaterial, mit Nahrungsmitteln und Ausrüstungsgegenständen versehen, obwohl von den aus Wien, Teschen usw. abtransportierten ca. 20 000 Menschen nur ca. 1400 aus Mährisch-Ostrau selbst, ohne Witkowitz und die umliegenden Orte waren. Die finanzielle Situation der Kultusgemeinde in Mährisch-Ostrau ist dadurch katastrophal und zum Großteil von Prag abhängig.
Die Verzweiflung der Frauen und die Demoralisierung der Kinder schreiten von Tag zu Tag fort, da die Familienoberhäupter fehlen, von denen noch teilweise gar keine Nachricht vorhanden ist.
Täglich wächst die Zahl derjenigen, welche auf die Unterstützung der Kultusgemeinde angewiesen sind.
2. Die Polen-Transporte.
Im Herbst vorigen Jahres gingen von und durch Mährisch-Ostrau 3 Transporte „freiwillig“ in das Umschulungslager nach Polen. Davon waren rund 1400 jüdische Männer aus Mährisch-Ostrau.
Im Lager Zarzecze bei Nisko am San haben die ungeschulten und unvorbereiteten Ostrauer Pioniere aus nichts – als sie ankamen, war nur eine bloße Wiese vorhanden, ohne jedes Dach – unter den schwersten Verhältnissen ein Lager [errichtet], wie es als Muster hingestellt werden kann.
In der Zwischenzeit hat ein Großteil das Lager teils freiwillig, teils unfreiwillig verlassen, und viele Hunderte befinden sich im heutigen Rußland, ohne Verbindung mit ihren Angehörigen und ohne Hoffnung. Im Lager selbst und in der Umgebung verblieben noch ca. 310 Ostrauer Juden, zusammen mit Wienern und Teschnern usw. Alle diese Menschen werden früher oder später das Lager verlassen müssen, wie dies auch in Sosnowitz der Fall war.
3. Die Lösung des Ostrauer Niskoproblems.
Eine Rückkehr der Männer ins Protektorat ist verboten, auch dann, wenn dieselben mit ihrer Familie auswandern wollen. Für die Protektoratsbehörden gelten die abtransportierten Juden als ausgewandert, und es ist allen jüdischen Stellen in Prag untersagt worden, für Nisko irgend etwas zu unternehmen. Aus diesem Grunde ist es für die Protektoratsjuden schwer, wenn nicht unmöglich, dieses Problem im Ausland anzuschneiden und Hilfe zu geben oder zu erflehen.
Tatsächlich ist das Problem der Ostrauer Lagerinsassen von Nisko und Umgebung das dringendste momentan überhaupt. Dies wird von allen informierten Stellen, sogar von den Vertretern der polnischen Judenschaft, die doch auch schwer leidet, anerkannt.
Die Slowakische Republik ist bereit, die 310 Ostrauer Lagerinsassen von Nisko und Umgebung in die Slowakei zu lassen, wenn unter anderem der Lebensunterhalt für 3 Monate im voraus vom Ausland bereitgestellt wird und wenn die Weiterreise innerhalb dieser Zeit garantiert wird. Da beides meist finanzielle Fragen sind, konnte bisher keine Erledigung erfolgen.
Das Aufbauen des Lagers in Nisko hat bewiesen, daß die Männer in der Lage wären, landwirtschaftliche Tätigkeit in San Domingo auszuüben. Die Familienmitglieder, Frauen und Kinder im Protektorat, wären ebenfalls hiezu bereit. Nur ein geringer Teil besitzt reale Auswanderungsmöglichkeiten.