Wenzel Jaksch (1896–1966), Maurer, Journalist; von 1924 an Vorstandsmitglied der DSAP, von 1938 an ihr Vorsitzender; emigrierte 1938 erst nach Polen, später nach Großbritannien, inoffizieller Vertreter der Sudetendeutschen bei der tschechoslowak. Exilregierung in London; 1950–1953 Leiter des Landesamts für Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte in Hessen, 1964–1966 Präsident des Bundes der Vertriebenen.
Kurt Freisinger (1901–1942?), Ingenieur; flüchtete im Okt. 1938 aus den sudetendeutschen Gebieten nach Prag; am 24.4.1942 nach Theresienstadt und von dort am 28.4.1942 nach Zamość deportiert und dort umgekommen. Freisinger war am 21.3.1939 in Prag von der tschech. Polizei aufgrund einer deutschen Anweisung festgehalten, aber sofort wieder freigelassen worden.
Dr. Marie Schmolka (Schmolková), geb. Eisner (1890–1940), Verbandsfunktionärin; Leiterin der Flüchtlingshilfe der JKG und der HICEM Prag, Vertreterin des tschechoslowak. Hilfskomitees beim Völkerbund, 1933–1938 Vorsitzende des Comité National Tchéco-Slovaque pour les Réfugiés provenant d’Allemagne, von März 1939 an zwei Monate in Haft; emigrierte nach Kriegsbeginn nach Großbritannien, dort an der Gründung des nationalen Rats der tschechoslowak. Juden beteiligt.
Richtig: Hannah Steiner, geb. Dub (1894–1944), Verbandsfunktionärin; Präsidentin der tschech. WIZO, Herausgeberin der Blätter für die jüdische Frau, Mitbegründerin der Jüdischen Flüchtlingshilfe in Prag, 1939 verhaftet; am 13.7.1943 nach Theresienstadt deportiert, dort im Frauenhilfsdienst aktiv, am 16.10.1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Marie Schmolka stellte sich, nachdem sie zuvor Schutzangebote verschiedener Konsulate ausgeschlagen hatte, freiwillig der Gestapo, um die Freilassung von Hannah Steiner zu erreichen.
Pavel Rittenberg (1912–1939), Journalist; stammte aus Russland, war als Journalist in Berlin tätig, von wo aus er im Sept. 1935 mit seiner Verlobten nach Prag flüchtete. Im Haus zur Schwarzen Rose befand sich das Reisebüro für die Auswanderung.
Bericht über die Vorgänge in Prag am 15. März 1939
Die Gestapo traf um 9 Uhr in Prag ein, um 10 Uhr bereits begannen die Verhaftungen. Jeder, der irgendwie mit den leitenden Stellen zu tun hatte, wurde verhaftet. Niemand durfte die Tschechoslowakei verlassen oder wieder über die Grenze zurückkommen, der nicht im Besitze des blauen Scheins war.
Der Durchlaßschein war nur schwer erhältlich. Wer ihn haben will, muß sich bei der Gestapo, Perstyn 9, anstellen und warten. Wenn man lange gewartet hat, kann es vorkommen, daß die Beamten plötzlich Schluß machen, wie es ihnen gerade in den Sinn kommt. Hunderte, die dort draußen warten, müssen dann unverrichteter Sache nach Hause gehen. Das tun aber die meisten nicht, sondern sie bleiben stehen und warten weiter, bis wieder geöffnet wird, viele stehen dort die Nacht hindurch in Schnee, Regen und Wind bis zum anderen Morgen und länger noch, stundenlang, bis sie endlich an der Reihe sind. Am 30. März wurde ein Schild herausgehängt mit der Bekanntmachung, daß Juden keine blauen Scheine mehr erhalten. Es ist ein schwunghafter Handel mit solchen Durchlaßscheinen entstanden. Fälle sind bekannt, in denen Tausende von Kronen dafür bezahlt wurden. Anfänglich zahlte man etwa 2000 Kr, am 31. März sollen bis zu 50 000 Kr gezahlt worden sein. Der Berichterstatter weist besonders darauf hin, daß der eigentliche Wortlaut des Scheines auch die Rückkehr nach der Tschechoslowakei gestattet, dass dieser Passus aber vielfach bei Juden gestrichen wurde, oder die Scheine, die noch den Rückkehrvermerk trugen, wurden den Juden an der Grenze, z.B. in Bentheim, abgenommen. Der Berichterstatter erhielt seinen Durchlaßschein durch Vermittlung des holländischen Konsuls in Prag.
Die Gestapo unterscheidet zwischen „echten“ und „unechten“ Ausländern. Echte Ausländer sind z.B. Amerikaner, Engländer, Franzosen, Holländer, unechte sind alle Juden, Ungarn, Polen, Jugoslawen. Jeder aber brauchte diesen Durchlaßschein und zunächst zur Einreise eine Einreisegenehmigung der deutschen Behörde. Selbst deutsche Staatsangehörige müssen sich eine Einreiseerlaubnis beschaffen. Falls es sich um Geschäftsreisen handelt, müssen sie die Erlaubnis beim Reichswirtschaftsministerium beantragen und eine Befürwortung der Handelskammer vorlegen.
Die tschechoslowakischen Juden haben ihre Pässe vorläufig behalten. Übrigens ist bereits seit Januar für diese Pässe das „J“ eingeführt worden. […]
Am 14. März begann es in den Straßen Prags auffallend unruhig zu werden. Gruppen von jungen Leuten zogen in sichtlich provokatorischer Absicht durch die Straßen. Abends war es schon nicht mehr möglich, auf der Straße tschechisch zu sprechen, ohne daß man angerempelt wurde. Meistens spuckte man den tschechisch sprechenden Personen ins Gesicht. Es hieß, daß die herumziehenden Gruppen deutsche Studenten seien. Es waren aber Henlein-Leute, die eigens aus Sudetenland nach Prag gekommen sind. Man sah auch nicht nur Junge unter ihnen, sondern Männer von 40 bis 45 Jahren. Der Berichterstatter schildert, wie Gruppen von 20, 30 oder mehr Personen in unerhört frecher Weise Unruhe hervorriefen. Sie gingen auf dem Wenzelsplatz unaufhörlich auf und ab und pöbelten Juden und Tschechen an. […]
Am späten Abend kam die Nachricht, daß Ostrowa (Mährisch-Ostrau) von deutschen Truppen besetzt sei, Pilsen solle am anderen Morgen besetzt werden. Am anderen Morgen zwischen 10 und 12 Uhr wurde bereits Prag besetzt. Das erste war, daß Autos von der Gestapo bei der Staatsbank vorfuhren und das Gold holten. Motorisierte Truppen zogen in Prag ein. Die Offiziere saßen in offenen Wagen ohne Seitenwand, wie sie beim Militär üblich sind. Die Bevölkerung hat die Leute angespuckt und mit Fäusten in die Wagen hineingedroht. Das deutsche Militär ließ sich aber dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
Als der Berichterstatter in sein Hotel zurückkehrte, kamen dort zwei Gestapobeamte und verlangten 20 Zimmer vom Hotel zu ihrer Verfügung. „In zwei Stunden müssen die Zimmer frei sein!“ Um 11 Uhr sagte ihm der Hotelchef, er müsse sein Zimmer räumen, die ganze Etage sei für die Gestapo zu reservieren. Um ½ 12 Uhr kamen wieder zwei Offiziere von der Gestapo (in SS-Uniform) mit der Forderung, das ganze Hotel müsse geräumt werden von den Gästen und der Gestapo zur Verfügung stehen. Auf Einwenden des Hotelchefs, daß seine Gäste fast alle unterwegs seien, wird ihm eine Frist bis 5 Uhr gegeben. Auch andere Hotels (dies war das Palast-Hotel) wurden beschlagnahmt. Das Petschek-Gebäude wurde Sitz des Generalstabs.
[…]
Die Gestapo erschien mit fertigen Verhaftungslisten in ihren Aktentaschen, so daß schon eine Stunde nach ihrer Ankunft mit den Verhaftungen begonnen werden konnte. Henleinleute, die in Prag Bescheid wußten, begleiteten die Automobile der Gestapo bei diesen Fahrten. Im ganzen sollen in der Tschechoslowakei 13 000 Personen verhaftet worden sein. In Prag wurden in den ersten zwei Tagen etwa 6000 Verhaftungen vorgenommen. Als Erster wurden der frühere Bürgermeister von Prag und einige Dezernenten der Stadtverwaltung verhaftet. Ferner verschiedene Politiker. Jaksch flüchtete in die englische Gesandtschaft. Das Prager Tagblatt wurde besetzt. Zur Untersuchung trafen acht deutsche Landgerichtsräte ein. Bei den Verhaftungen sollen keine Mißhandlungen vorgekommen sein. Nur Grobheiten und Frechheiten gab es zur Genüge. Die Verhafteten kamen zunächst nach Pankrasz ins Gefängnis, dann ins Sokol-Stadion, wo man sie in den für die Wettspielteilnehmer eingerichteten Zellen unterbrachte. Dort ist Platz für 3000 Personen. Manche haben dort auch nachts stehend zubringen müssen, weil sie keinen Platz hatten, um sich hinzulegen.
Allmählich begann das Leben in Prag sich zu „normalisieren“. Die Ladenschilder wurden gewechselt. Die Leute arisierten sich selbst. In den Fenstern stehen Schilder mit der Aufschrift „rein arisches Geschäft“ in tschechischer Sprache. Lieferautos wurden dadurch geschützt, daß man die Firmenschilder einfach übermalte. Am Mittwoch zog Hitler in Prag ein. Am Donnerstag erschien in sämtlichen Zeitungen ein Bericht, daß die Anwaltskammer alle jüdischen Anwälte ersucht habe, ihre Tätigkeit einzustellen. Wenn man durch die Straßen ging, sahen alle Geschäfte, namentlich die Konfektionsgeschäfte, auch christliche, aus, als seien sie geschlossen. Es wurde so viel gekauft, daß die Geschäfte dazu übergingen, nur eine kleine Anzahl von Käufern hereinzulassen, die Türen zu schließen und nach einiger Zeit die nächsten hereinzulassen. Es wurde also gehamstert. Von Deutschland aus wurden Lebensmittel aufgekauft. Ganze Karawanen von Autos sind mit Lebensmitteln beladen nach Deutschland abgefahren.
Am dritten Tage nach der Besetzung von Prag kamen furchtbare Nachrichten von Selbstmord unter der jüdischen Bevölkerung. Täglich zählte man etwa 30 bis 40 Selbstmörder. Bis jetzt sind etwa 400 Personen in den Krankenhäusern aufgenommen worden, die in den Tagen vom 15. bis 18. März Selbstmordversuche begingen. Man hatte völlig Unpolitische verhaftet. U.a. z.B. den Ing. Freisinger, der mit Genehmigung des Fürsorgeministeriums in Prag eine Gruppenauswanderung von 300 Juden organisierte und der diese Auswanderung nach der Dominikanischen Republik legal vorbereitet hatte. Die einzige Schwierigkeit lag noch darin, daß Leute darunter waren, die die Ausreise durch Deutschland fürchteten. Deshalb verhandelte Freisinger mit der KLM in Holland, um den Transport per Flugzeug bis Rotterdam durchzuführen. Er wurde verhaftet, weil er „Leiter einer Gruppe von Emigranten“ war.
Frau Schmolka und Frau Stein wurden verhaftet. Alle für die sudetendeutschen Juden gesammelten Gelder wurden beschlagnahmt, so daß die sudetendeutschen jüdischen Flüchtlinge, die sich seit dem vorigen Herbst in Prag aufhalten, hungern müssen. Es sind ferner alle reichen Leute verhaftet worden. Auch der Rechtsanwalt Dr. Stein, der viel für Petschek gearbeitet hat, wurde verhaftet. Er konnte zuerst flüchten, da er gewarnt worden war, am sechsten Tage stellte er sich selbst der Polizei.
Viele Juden sind nach Polen geflüchtet. Ostrowa, der einzige Ausweg, war aber zuerst von den Deutschen besetzt worden, so daß sich die Juden wie in einer Falle befanden. Es hat sich unter diesen Umständen in Ostrowa ein Schmuggel mit Menschen herausgebildet, ausgehend vom Restaurant Grün und vom Café Union. Etwa zehn Tage lang ging es in folgender Weise vor sich: Man schmuggelte die Flüchtenden in die Kohlenstollen hinein und führte sie unterirdisch auf polnisches Gebiet hinüber. Aber die deutschen Behörden entdeckten diesen Weg und verhinderten ihn. Jetzt muß man hohe Preise zahlen, um sich hinüberbringen zu lassen. Für 5000 Kr soll man sicher nach Polen hinüberkommen. So viel besitzen aber die sudetendeutschen Juden nicht mehr. Man borgt einander 300 oder 400 Kr für die Flucht.
Manche Juden flüchten, da sie nicht über die Grenze gelangen können, in Krankenhäuser und Sanatorien, wo sie sicher zu sein glauben vor dem Zugriff der Gestapo.
Die Geflüchteten halten sich zu vielen Hunderten in Czenstochau auf, viele sind auch nach Gdingen weitergefahren und hoffen, von dort aus zu Schiff England zu erreichen. Manche flüchteten auch nach Jugoslawien, wofür ein Visum leicht zu erhalten war.
In der Tschechoslowakei haben sich in den letzten Monaten viele Juden taufen lassen, und zwar nur zum Zwecke der Auswanderung nach Südamerika. Noch mehr sind mit Taufscheinen ausgestattet, die durch Korruption beschafft wurden. Es sind Preise für Taufscheine gezahlt worden, die zwischen 800 und 1500 Kr lagen, je nachdem, ob nur die Eltern oder bereits die Großeltern als christlich darauf vermerkt waren.
Schon bald nach der Besetzung durch die Deutschen wurden Verordnungen erlassen, die die Juden betrafen. Bis zum 15. April müssen alle in Böhmen und Mähren wohnenden Juden ihr Vermögen angeben. Juden dürfen Grundstücke weder veräußern noch abtreten, noch schenken. Die Inhaber von Geschäften dürfen ihre Geschäfte nicht verkaufen, auch nicht arisieren. Juden dürfen nicht in Cafés, Kinos und Theater gehen.
[…]
Als persönliches Erlebnis fügt der Berichterstatter folgendes hinzu:
Er sah sich genötigt, nachdem die Gestapo bereits das Palast-Hotel bezogen hatte und er nebst anderen Gästen mit großer Mühe private Unterkunft gefunden hatte, nochmals in das Hotel zu gehen, um dort seine Post abzuholen. Während der Portier ihm die Briefe heraussuchte und aushändigte, traten die in der Halle anscheinend als Wachhabende anwesenden SS-Leute dicht an ihn heran und fragten ihn schroff, ob er Jude sei, warum er in Prag sei, ob er viel reise usw. Er wurde aufgefordert, seinen Paß zu zeigen. Darauf hieß es in grobem Ton: „Also Holländer sind Sie! Und da meinen Sie wohl, daß wir nicht an Sie herankönnen?“ Er solle machen, daß er nach Holland komme, er müsse sich aber so gut wie jeder andere einen Durchlaßschein beschaffen. Er antwortete in ruhigem, aber bestimmtem Ton, woraufhin die SS-Leute einlenkten und ihm sogar in verhältnismäßig höflicher Form mitteilten, wo er sich den „blauen Schein“ holen müsse.
Nachtrag zum Bericht aus Prag.
Es verübten Selbstmord in den Tagen vom 15. bis 18. März: Paul Rittenberg in Prag erschoss sich im Haus Schwarze Rose, Dr. Beermann und Frau aus Karlsbad vergifteten sich.