Dok. 12-334

Die provisorische französische Regierung von de Gaulle nimmt am 8. August 1944 Kenntnis vom Bericht eines entflohenen Häftlings aus Drancy und Auschwitz

Das Lager von Drancy und die Deportation nach

Das Lager von Drancy und die Deportation nach

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
  •  
Personen

Alois Brunner (*1912), kaufmänn. Angestellter; geb. in Österreich, 1931 NSDAP- und SA-Eintritt, 1933–1938 Österr. Legion, 1938 SS; 1938 Eichmanns Sekretär in Wien, koordinierte 1939 und 1941/42 die Erfassung und Deportation der österr. Juden, im Winter 1942/43 der Juden aus Berlin, im Frühjahr 1943 aus Saloniki, Juli 1943 bis Aug. 1944 aus Frankreich, im Sept. 1944 aus der Slowakei; nach 1945 unter falschem Namen in Deutschland untergetaucht, 1954 in Paris in Abwesenheit zum Tode verurteilt, Flucht nach Syrien.

Skript

Vertrauliche Aufzeichnung des Kommissariats für Inneres der France Libre

 

Das Lager von Drancy und die Deportation nach Polen

Bericht eines Entflohenen

 

Ankunft in Drancy am 26. Februar 1943

Abreise nach Beaune-la-Rolande am 20. März 1943

Rückkehr nach Drancy am 19. Juni 1943

Abreise nach Polen am 18. Juli 1943

 

[…]

Mit Brunners Ankunft kam im Lager zum ersten Mal die Prügelstrafe zum Einsatz. Er hatte die Internierten im Hof versammelt, um ihnen zu zeigen, wie man einen Juden bestrafte, der sich nicht ans Reglement hielt. Zwei Tage später wurde der Blockälteste, der einen Brief hinausschmuggeln wollte, misshandelt und gezwungen, den Lagerhof robbend zu überqueren. Um ihn anzutreiben, trat ihn Brunner mit Füßen und gab mit seinem Revolver hinter ihm Schüsse ab, um ihm Angst zu machen. Im Gefängnis, in das man ihn warf, wurde er so geschlagen, dass er von Ärzten behandelt werden musste, die ihm Wundklammern setzten.

In Drancy trugen wir an den Knopflöchern befestigte Schilder. Sie waren beschriftet mit Nr. 1 für die nicht Deportierbaren, Nr. 2 für Internierte, die auf ihre Familien warteten, Nr. 3 für die Frauen von Kriegsgefangenen (Kategorie gleichgesetzt mit Ehepartnern von Ariern, daher nicht deportierbar), Nr. 4 für Franzosen, Nr. 5 für die Ehepartner von Ariern, Nr. 6 für die Internierten, die kurz vor der Freilassung stehen. Auf den Schildern stand ebenfalls unsere Häftlingsnummer.

 

Hauptmann Brunner schaffte bei seiner Ankunft in Drancy die Durchsuchungen vor dem Abtransport ab. Er sagte: „So schwer es mir auch fällt, ist es mir doch ein Anliegen, euch zu sagen, dass es keine Deportation mehr, sondern eine Evakuierung ist. Wir schicken euch in Arbeitslager, wo ihr mit euren Familien leben und für die Arbeit, die ihr leistet, bezahlt werdet.“

Die Deportierten fuhren mit ihren Familien und ihrem Gepäck. Sie wurden nicht mehr geschoren.

Am Freitag, den 17. Juli, bin ich an der Reihe. Um Mitternacht kommen wir auf die Abreisetreppe. […]

Die Abfahrt findet am Samstag, 18. Juli, um 5.30 Uhr am Bahnhof von Bobigny statt, da der Bahnhof von Bourget bei der Bombardierung vom 14. Juli zerstört worden war. Auf der gesamten Strecke dorthin werden die Straßen von Deutschen bewacht. Wir werden in kürzester Zeit verfrachtet, weil die Deutschen allen Stockhiebe versetzen, die ihrer Ansicht nach nicht schnell genug gehen.

[…] Am Güterbahnhof von Auschwitz angekommen, erhalten wir den Befehl, aus den Waggons auszusteigen, ohne unsere Koffer und Rucksäcke anzurühren. Alles sollte dort bleiben.

Meine Frau und meine kleine Tochter stiegen aus, so wie alle unsere Kameraden: die Männer links, die Frauen und die Kinder rechts. Ich sah, wie der SS-Chef des Ordnungsdienstes allen Frauen die Handtaschen entriss und sie durcheinander auf den Boden warf, ihnen und den Kindern die Mäntel wegnahm. Es war 5 Uhr abends. Wir begannen zu verstehen …

Zwei höhere deutsche Offiziere kamen in Begleitung eines dritten – den ich für einen Arzt hielt. Es begann also eine Selektion: Ungefähr 330 gesunde junge Frauen und Männer wurden aussortiert. Die Alten, Behinderten, die Frauen mit Kindern auf den Armen oder an der Hand stiegen in Lastwagen ein. Die 350 – darunter ich – gingen ungefähr zwei Kilometer bis zum Lager Birkenau. Dort trennte man die Frauen von den Männern.

Wir werden nicht mehr von Deutschen befehligt, sondern von Polen (Ariern). Sofort nach unserer Ankunft werden wir in eine Baracke geführt, wo wir uns nackt ausziehen und unsere Papiere, Geld und Schmuck in den Taschen unserer Kleider lassen müssen. Als wir nackt sind, werden wir aus der Baracke hinausgeführt, und an der Tür durchsuchen uns zwei Deutsche – sogar intim – um sicherzugehen, dass wir nichts versteckt haben. Es ist ungefähr 11 Uhr abends, und die Nacht ist frisch. Man führt uns in einen anderen Raum, wo wir zur Gänze geschoren und rasiert werden.

Mit den Frauen wurde ebenso verfahren: Ich sah sie am nächsten Morgen, als sie sich anstellten, um zur Desinfektion zu gehen.

Um 1.30 Uhr morgens: kalte Dusche. Nichts zum Abtrocknen. Kein einziges unserer Kleidungsstücke oder persönlichen Gegenstände wird uns je zurückgegeben. Danach gibt man uns Kleider, nämlich: ein altes Hemd, eine alte Hose und eine Jacke – ohne Rücksicht auf die Größe. Keine Schuhe, keine Holzpantinen – wir sind barfuß.

Gegen 4 Uhr morgens führt man uns, die wir vor Müdigkeit völlig erschöpft sind, in eine Baracke; ein SSler tritt ein, gefolgt von zwei Polen. Ersterer bestimmt einen von uns zum Singen, und wir müssen bis 7 Uhr morgens stehen bleiben, während sich der Unglückliche heiser schreit …

Wir werden einem Verhör unterzogen. Man fragt uns nach unseren Namen, Vornamen, Familienstand, Adresse der Eltern (keiner antwortet auf diese Frage), was wir gelernt haben, unseren Beruf. (Vielleicht leisten wir so unsere Unterschrift, zwar nicht unter einer Aussage, aber auf einer angeblichen „Korrespondenzkarte“, wie sie manche aus dem Lager Birkenau erhalten haben …)

Danach tätowiert man uns auf den Unterarm eine Häftlingsnummer mit dem Davidstern und führt uns in eine Baracke im Inneren des Lagers, wo sich – wie ich aufgrund von Vergleichen und zahlreichen erhaltenen Informationen sagen kann – an die 50 000 Deportierten befinden.

Als ich einen der Leiter im Lager frage, an welchem Tag ich meine Frau und meine Tochter, die zur gleichen Zeit mit mir deportiert und von Auschwitz in einem Lastwagen weggefahren sind, wiedersehen würde, führt er mich aus dem Lager und zeigt mir in der Ferne einen riesigen Schornstein, aus dem weißer Rauch steigt, und sagt diese einfachen Worte: „Deine Frau und deine Tochter gehen in diesem Rauch auf …“

Ich wollte ihm nicht glauben und wandte mich an andere Leute im Lager. Leider war es wahr: Alle Kranken, Alten, Personen, die keinerlei Arbeiten verrichten können, werden in einen Duschraum geführt, und statt Wasser strömt Gas aus. Dann kommt der Verbrennungsofen. Alle, die im Lastwagen abtransportiert wurden, sind diesen Weg gegangen …

Wir hingegen haben begonnen, den Tagesablauf im Lager über uns ergehen zu lassen: Wecken um 4 Uhr, Appell um 5 Uhr, Aufbruch zur Arbeit um 6 Uhr. Wir gingen noch nicht arbeiten, denn wir brauchten vier Tage, um die Kommandos befolgen zu lernen. Zum Beispiel beim Appell in den Reihen mit kleinen präzisen Gesten die Mütze zu ziehen. Der Unterricht wurde von Stock- und Faustschlägen begleitet.

Nichts zu essen bis Mittag. Dann die Suppe: eine Kelle Wasser, in dem ein Kohlblatt und Kartoffelschalen schwammen.

Um 13 Uhr wird der Unterricht bis 17.30 Uhr wiederaufgenommen. Appell um 18 Uhr. Um 19 Uhr Brotverteilung. Wir sollten 250 Gramm bekommen, aber die Polen (darunter einige Juden) stehlen einen Teil unserer Ration. Wir bekommen auch eine Scheibe Wurst – woraus auch immer gemacht … Wir gehen dann in eine Baracke zum Schlafen, in der wir 600 sind (fünf bis sechs auf einer Holzpritsche ohne Stroh mit drei Decken).

Eines Tages werden wir für Erdarbeiten bestimmt. Wir transportieren die Erde auf Holztragen. Automatisch bekommen wir alle 10 Meter einen Stockschlag. Ich habe Arbeiter gesehen, die nur mehr Haut auf den Knochen hatten, im wahrsten Sinne herummarschierende Skelette, den Körper völlig mit Wunden übersät. Und man darf unter keinerlei Vorwand aufhören zu arbeiten, den ganzen Tag nicht. Nichts zu trinken: Im Lager gibt es kein Trinkwasser – unter der prallen Sonne. Wenn einer von uns umfällt und nicht wieder aufsteht, bringen wir ihn abends zurück, denn die Toten müssen dem Appell „Folge leisten“ …

Bei einem Fehler beträgt die Strafe 25 Stockschläge. Aber oft kommt noch das „Krematorium“ dazu …

Das Lager ist mit elektrisch geladenem Stacheldraht umgeben. Wir bewundern den Mut jener, die freiwillig in den Tod gehen. Einer von ihnen […] 23 Jahre, stirbt auf diese Weise am 27. Juli um 11 Uhr abends.

[...]