Dok. 09-122

Der Soldat Hubert Pfoch beschreibt um den 23. August 1942 die Verladung der Juden von Siedlce in den Deportationszug nach Treblinka

Weiter geht es dann über

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Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
Personen

Hubert Pfoch (1920–2008), Tischler; von 1934 an in illegalen sozialdemokratischen Jugendzirkeln tätig; 1940 zur Wehrmacht eingezogen, 1941 Kriegsteilnahme in Ostgalizien und der Ukraine, im Mai 1942 wegen Krankheit in Kroměříž (Kremsier), von Aug. 1942 an Kriegsteilnahme in Russland; 1945 desertierte er, danach war er Bibliothekar in Wien, 1965 Zeuge im Treblinka-Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf, 1973–1978 sozialdemokratischer Vizebürgermeister von Wien; 1984–2003 Präsident des DÖW (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes).

 

Skript

Handschriftl. Tagebuch

 

[…] Weiter geht es dann über Radom, Lukow nach Siedlce, wo wir am Abend ankommen und noch Suppe bekommen. Von Zeit zu Zeit krachen immer [wieder] Schüsse. Da sehen wir auch schon zirka 7000 Juden, und sooft einer oder eine aufsteht, sinkt sie auch schon mit einem Kopfschuß zusammen. Wir gehen dann bald schlafen, und ich werde am 23. gerade munter, als wir ganz knapp an den Juden vorbeifahren – es sind lauter Ostjuden, abgemagert, zerlumpt. Sie haben schon 2 Tage kein Essen und Wasser erhalten. Es kommt da öfter ein Lastauto, das mit Jüdischer Polizei besetzt ist, u. die fahren dann die Toten weg. Entsetzliche Szenen gab es beim Verladen in die Viehwaggons. 180 Juden in einem Waggon. Die Eltern in dem einen, die Kinder in dem anderen, u. ständig krachen die Schüsse der Wachmannschaft, die aus ukrainischen Freiwilligen besteht. Als glücklich alles verladen ist, schreit man aus jedem Waggon um Wasser „Prosim Wody“, bitte Wasser für meinen goldenen Ring, für 5000 Zloty (2500 RM). Uhren etc. werden uns angeboten für ein Glas Wasser. Als dann die ersten durch die Luken der Waggons klettern u. erschöpft im Sande liegen, werden sie erschossen, so daß dort ein Massaker entstand, daß es jeden von uns ekelte, u. [ein] Blutbad, wie ich es noch nie gesehen habe. Die Mutter springt mit dem Kinde [vom Waggon] runter u. sieht ganz ruhig in den Gewehrlauf, der auch bald ihr das erlösend[e] Geschoß durch den Kopf jagt. Aus den Waggons wird der Ruf nach Wasser immer hysterischer. Frauen rufen uns zu: „Bitte erschießen Sie mich!“ „Bitte hierher schießen!“ Als dann endlich der Zug die Station verläßt, liegen mindestens 50 Tote, Frauen, Männer, Kinder, teils vollkommen nackt, am Bahnhof, die dann die jüdische Polizei wegräumt. Wertgegenstände aller Art verschwinden in den Taschen der Wegräumer.

Als dann unser Zug denselben Weg nimmt, liegt noch so manches Kind u. andere am Bahnkörper. Auf der Fahrt nach Treblinka, wo das Jüdische „Entlausungslager“ liegt, holen wir den Zug ein. Ein Leichengeruch liegt in der Luft, daß uns das Brechen ankommt. Wieder liegen wir neben dem Judentransport, wo noch heißer der Ruf nach Wasser erklingt, noch immer schießen die Posten wahllos in die Juden. 300.000 hat man hier zusammengesammelt, u. täglich werden 10.000 – 15.000 mit Gas vergiftet u. verbrannt. Jeder Kommentar zu dieser Sache ist vollkommen überflüssig. Man hat in den Ghettos Waffen gefunden, u. das war [die] Gegenmaßnahme.

[…]