Dok. 07-210

Elena Kutorgiene-Buivydaite berichtet im Spätherbst 1941, wie in Kaunas Juden ermordet werden

Wieder sind am 28.X.
10 000 Menschen aus

Wieder sind am 28.X.
10 000 Menschen aus

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
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Personen

Elena Kutorgiene (1888–1963), Ärztin; praktizierte in Kaunas als Augenärztin, aktiv in der Oeuvre de Secours aux Enfants, einer jüdischen Wohlfahrtsorganisation mit Hauptsitz in Frankreich, versteckte während des Kriegs Juden in ihrem Haus und knüpfte Kontakte zum jüdischen Untergrund, für den sie u.a. Waffen beschaffte und Verstecke suchte; nach 1945 Mitglied der ČGK (Außerordentlichen Staatskommission zur Untersuchung von Gräueltaten der deutsch-faschistischen Besatzer und ihrer Komplizen in den zeitweilig besetzten Gebieten der UdSSR), 1982 posthum als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet.

 

Skript

30.X. Wieder sind am 28.X. 10 000 Menschen aus dem „Getto“ in den Tod geschickt worden. Man wählte die Schwachen, die Alten, die kinderreichen Mütter mit ihren Kindern aus, jene, die nicht mehr zur Arbeit taugen … Es spielten sich viele Tragödien ab: Entweder war der Mann in der Stadt und fand, als er zurückkam, seine Frau und Kinder nicht mehr vor, oder aber sie ließen die Frau da und schafften den Mann fort … Sie trennten Brüder und Schwestern voneinander, Väter und Mütter von ihren Kindern. Augenzeugen erzählen, am Vorabend sei bekannt gegeben worden, dass sich alle Einwohner, mit Ausnahme der Arbeiter mit Sonderbescheinigungen, die zuvor an verschiedene Facharbeiter und Meister ausgegeben worden waren, bis 6 Uhr morgens auf dem großen Platz im „Getto“ einzufinden und in Kolonnen aufzustellen hätten. In den ersten Reihen standen die Mitglieder des Ältestenrates mit ihren Familien, ferner die jüdische Polizei, dahinter die Mitarbeiter der Verwaltung und schließlich die verschiedenen Brigaden, sortiert nach Beschäftigung. Alle Familien sollten sich vollzählig aufstellen. Der Leiter des Flugplatzes und andere Vertreter der deutschen Obrigkeit musterten die langsam an ihnen vorbeiziehenden Menschen aufmerksam. Die einen beorderten sie nach rechts – das bedeutete den Tod –, die anderen nach links. In den Tod wurden alle Schwachen, Alten und kinderreichen Familien geschickt. Von 6 Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit wurden 10 000 Menschen ausgesondert und in das sogenannte „kleine“ Getto zum Übernachten geschickt, das in den vergangenen Monaten bereits von seinen Bewohnern „gesäubert“ worden war. Der Platz war auf allen Seiten von Wachposten mit Maschinengewehren umstellt. Es war ein kalter Tag. Die Menschen mussten dort den ganzen Tag hungrig und ohne warme Kleidung ausharren, die Kinder auf den Armen ihrer Mütter weinten; niemand wusste, was ihnen bevorstand, sie dachten, man brächte sie in andere Wohnungen (abends stritten und zankten sie sich [schon] deswegen), sie gingen ruhig [in das kleine Getto], ohne Widerstand zu leisten. Bei Sonnenaufgang verbreitete sich das Gerücht, dass die Kriegsgefangenen im 9. Fort (im Todesfort) tiefe Gruben ausheben müssten.

Als die Menge dann zum 9. Fort getrieben wurde, war allen klar, dass dies den Tod bedeutete … Sie begannen zu schluchzen und zu schreien … Viele versuchten zu fliehen, sie wurden erschlagen, auf den Feldern lagen unzählige Leichen. Einen Teil der Leute transportierten die Deutschen mit Lastwagen. Im Fort wurden die Menschen entkleidet und in Schüben zu 300 Personen in die vorbereiteten Gruben gejagt, wo sie mit Maschinenpistolen, Gewehren und Pistolen ermordet wurden. Die Todgeweihten mussten stundenlang ohne Kleider im Frost stehen. Vor allem die Kinder wurden einfach in die Gruben geworfen, die teilweise mit Wasser gefüllt waren … Danach wurden die Frauen erschossen, am Rand der Grube, so dass sie hineinfielen, zuletzt waren die Männer an der Reihe … Viele wurden lebendig begraben. Die Totschläger waren allesamt betrunken. Mir erzählte heute ein Bekannter, dass ihm all das ein deutscher Soldat erzählt habe – ein Augenzeuge, der noch hinzufügte, er habe gestern an seine Frau, eine Katholikin, geschrieben: „Gestern habe ich mich davon überzeugt, dass es keinen Gott gibt, denn wenn es ihn gäbe, dann hätte er nicht zulassen können, was geschehen ist.“ Am folgenden Tag wurde die Kleidung der Ermordeten mit Lastwagen abtransportiert.

[…]