Dok. 07-094

Irina A. Chorošunova notiert vom 30. September bis 2. Oktober 1941, wie sich die Nachrichten über das Massaker von Babij Jar in Kiew verbreiten

Wir wissen noch immer nicht, was sie mit den Juden

Wir wissen noch immer nicht, was sie mit den Juden

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
Personen

Irina A. Chorošunova (1913–1993), Kunstformerin.

 

Skript

30. September 1941

Wir wissen noch immer nicht, was sie mit den Juden gemacht haben. Von Leuten, die auf dem Luk’’janovskoe-Friedhof waren, werden grausige Gerüchte verbreitet. Aber bislang ist es unmöglich, diesen Gerüchten Glauben zu schenken. Man erzählt, dass die Juden erschossen werden. […]

Die einen sagen, dass sie die Juden mit Maschinengewehren erschießen, dass sie alle ohne Ausnahme erschießen. Die anderen sagen, dass sechzehn Eisenbahnzüge für sie vorbereitet worden sind und sie wegbringen sollen. Aber wohin? Darauf weiß niemand eine Antwort. Man weiß nur eins: Alle Papiere, Habseligkeiten und Lebensmittel werden ihnen weggenommen. Dann werden sie nach Babij Jar getrieben und dort… Ich weiß nicht, was dort ist. Ich weiß nur eins, da geht etwas Schreckliches, Grauenhaftes vor sich, etwas Unfassbares, das man nicht verstehen, begreifen oder erklären kann.

2. Oktober 1941

Schon sagen alle, dass die Juden ermordet werden. Nein, nicht ermordet werden, sondern schon ermordet worden sind. Alle, ohne Ausnahme – Greise, Frauen und Kinder. Jene, die am Montag nach Hause zurückgekehrt waren, sind auch schon erschossen worden. Das ist noch Gerede, aber es kann keinen Zweifel daran geben, dass es den Tatsachen entspricht. Es sind keine Züge von Luk’’janovka abgefahren. Leute haben gesehen, wie Autos warme Kleider und andere Sachen vom Friedhof abtransportiert haben. Die deutsche „Sorgfalt“. Sie haben sogar schon die Trophäen sortiert!

[…]

Ich schreibe, und die Haare stehen mir zu Berge. Ich schreibe, aber diese Worte drücken nichts aus. Ich schreibe deswegen, weil es notwendig ist, dass die Menschen der Welt von diesem ungeheuerlichen Verbrechen erfahren und es rächen können. Ich schreibe, und in Babij Jar geht das Massenmorden von wehrlosen und völlig unschuldigen Kindern, Frauen und Greisen weiter, von denen viele, so sagt man, halb lebendig begraben werden, weil die Deutschen ökonomisch denken und es nicht mögen, Kugeln unnötig zu verschwenden. […]

Gab es jemals irgend etwas Vergleichbares in der Geschichte der Menschheit? Niemand hätte sich etwas Vergleichbares auch nur ausdenken können. Ich kann nicht weiter schreiben. Es ist unmöglich zu schreiben, unmöglich zu versuchen, das Geschehene zu verstehen – denn in dem Augenblick, in dem es uns bewusst wird, werden wir den Verstand verlieren. […]