Dok. 05-130

Der Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in den Niederlanden, Dr. Wilhelm Harster, beschreibt am 29. April 1942, wie entsetzt der Jüdische Rat auf die Einführung des Judensterns reagiert


Auftragsgemäß wurden am 29.4.42, um 16 Uhr die

Auftragsgemäß wurden am 29.4.42, um 16 Uhr die

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
Personen

Dr. Wilhelm Harster (1904–1991), Jurist; von 1929 an Beamter beim Polizeipräsidium Stuttgart; 1933 NSDAP- und SS-Eintritt; von 1935 an beim SD, u.a. 1938–1940 Leiter Gestapo Innsbruck, Juli 1940 bis Aug. 1943 BdS (Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes) in den Niederlanden, 1943–1945 BdS in Italien; bis 1949 Kriegsgefangenschaft, 1949 in den Niederlanden zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, 1955 begnadigt, 1956–1963 Reg. Rat im bayr. Innenministerium, 1967 in München zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, 1969 begnadigt.

 

Dr. Dr. Friedrich Wimmer (1897–1965), Archäologe, Jurist; von 1924 an Archäologe am nieder-österr. Landesmuseum; 1934 NSDAP-Eintritt in Österreich, 1938 SS-Eintritt; 1938 StS (Staatssekretär) im Kabinett Seyß-Inquart in Österreich, 1940–1945 Generalkommissar für Verwaltung und Justiz in den Niederlanden; Zeuge im Nürnberger Prozess gegen Seyß-Inquart, fiel 1957 unter das österr. Amnestiegesetz, lebte in Salzburg und Regensburg.

 

Abraham Asscher (1880–1950), Diamantenhändler; arbeitete im Familienbetrieb; engagierte sich in der Hilfe für jüdische Flüchtlinge, 1941–1943 Vorsitzender des Jüdischen Rats, 1943 nach Bergen-Belsen deportiert, dort 1945 befreit; nach 1945 untersagte ihm ein neu gegründetes jüdisches Ehrengericht die Betätigung in jüdischen Organisationen.

 

Dr. David Cohen (1882–1967), Historiker; Professor in Leiden und Amsterdam; engagierte sich in den 1930er-Jahren intensiv im CJV (Comité voor Joodse Vluchtelingen), von 1941 an einer der beiden Vorsitzenden des Jüdischen Rats; 1943 nach Theresienstadt deportiert und dort befreit; nach 1945 untersagte ihm ein jüdisches Ehrengericht die Betätigung in jüdischen Organisationen.

 

Ferdinand aus der Fünten (1909–1989), Kaufmann; 1932 NSDAP- und SS-Eintritt; von 1936 an hauptamtl. bei der SS tätig, Mitarbeiter im Judenreferat des RSHA (Reichssicherheitshauptamtes) unter Adolf Eichmann, von 1942 an Leiter der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Amsterdam; 1950 in den Niederlanden zum Tode verurteilt, 1951 zu lebenslanger Haft begnadigt, bis 1989 in Breda inhaftiert, kurz vor seinem Tode aus gesundheitlichen Gründen entlassen und nach Deutschland abgeschoben.

Skript

Bericht des Befehlshaber der Sicherheitspolizei für die besetzten niederländischen Gebiete, gez. Dr. Harster, an den Generalkommissar für Justiz und Verwaltung,
Dr. Dr. Wimmer, Den Haag

 

Betr.: Einführung des Judensterns.

[…]

„Auftragsgemäß wurden am 29.4.42, um 16 Uhr die Vorsitzenden des jüdischen Rates, A.) Asscher – B.) Cohen zur Zentralstelle für jüdische Auswanderung bestellt. Durch SS-Hauptsturmführer Aus der Fünten wurde ihnen eröffnet, daß die Kennzeichnung (Judenstern) durchzuführen sei. Es wurde darauf hingewiesen, daß in der heutigen Abendpresse die Veröffentlichung erscheint und drei Tage nach der Bekanntgabe in Kraft tritt. Nach dieser Mitteilung waren Asscher sowie Cohen völlig sprachlos. Man hat scheinbar nicht mit dieser Maßnahme gerechnet. Dann erklärten sie, nämlich Asscher und Cohen, daß es keine angenehme Mitteilung für die Judenschaft sei, sie persönlich seien jedoch stolz darauf, den Stern zu tragen und würden somit Ehrenbürger der Niederlande. Weiter fragte Cohen, warum die Farbe des Sternes gerade gelb sei. Es sei ja die Farbe der Erniedrigung für das Judentum. SS-Hauptsturmführer Aus der Fünten antwortete darauf, daß diese Farbe der Deutlichkeit halber gewählt worden sei und der Stern auch in Deutschland dieselbe Farbe habe. Dann wurden dem Judenrat die Sterne zur Verfügung gestellt (569 355 Stück). Die Verteilung der Sterne wurde dem Judenrat übertragen, worauf dieser jedoch die Einwendung machte, die Durchführung innerhalb drei Tagen sei zu kurz. Es wurde darauf hingewiesen, daß dieser Termin unbedingt einzuhalten sei. Weiter wurde gefragt, ob seitens des Judenrats eine Veröffentlichung in der Tagespresse erscheinen dürfe. Dieses wurde abgelehnt. Nachdem Cohen äußerte, es sei doch eine furchtbare Maßnahme, sagte Asscher wörtlich: Es wird nicht lange dauern, ein-zwei Monate, bis der Krieg abgelaufen ist, und wir sind frei! Insgesamt kann gesagt werden, daß der Judenrat versuchte, scharf gegen die Einführung des Sterns zu protestieren. So äußerte sich Cohen wie folgt: ‚Sie werden unsere Gefühle verstehen, Herr Hauptsturmführer, es ist ein schrecklicher Tag in der Geschichte der Juden in Holland!‘“