Dok. 05-120

Der Pfarrer Willem Oosthoek unterrichtet den Sekretär der Generalsynode der Niederländisch-Reformierten Kirche am 5. März 1942 über seine Aktion zugunsten der Juden


Sehr geehrter Kollege! Hiermit muss ich Ihnen

Sehr geehrter Kollege! Hiermit muss ich Ihnen

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
Personen

Willem Oosthoek (1909–2005), Pfarrer; von 1933 an Pfarrer der Niederländisch-Reformierten Kirche, bis 1948 in Zoutelande, danach in Westkapelle (beide Provinz Seeland).

 

Koeno Henricus Eskelhoff Gravemeijer, genannt Gravemeyer (1883–1970), Pfarrer; Pfarrer der Niederländisch-Reformierten Kirche, 1921 Mitbegründer der Reformierten Staatspartei und Abgeordneter, von 1940 an Sekretär der Reformierten Synode und des Konvents der Kirchen, von 1941 an mehrmals als Geisel inhaftiert; nach 1945 weiterhin aktiv in verschiedenen Positionen in der Kirche.

Skript

Handschriftl. Brief an den Sekretär der Generalsynode, Dr. Gravemeyer, Den Haag

 

Sehr geehrter Kollege!

Hiermit muss ich Ihnen mitteilen, dass ich aufgefordert worden bin, am kommenden
27. März um 11.30 Uhr vor dem deutschen Landgericht zu erscheinen. Beschuldigung: „Deutschfeindliche Kundgebung.“

Es geht um Folgendes. Als vergangenes Jahr die Mitglieder der Schulverwaltung eine schriftliche Erklärung unterzeichnen mussten, dass sie nicht von Juden abstammen, habe ich mich geweigert und zu meinem Leidwesen erfahren, dass alle Übrigen nicht nur unterschrieben, sondern mich ebenfalls zwingen wollten zu unterschreiben. Im September wurde am Ortseingang der Gemeinde ein Schild aufgestellt: „Eingeschränkte Freiheit für Juden“. Daran war nichts zu ändern, auch wenn es schmerzte. Als aber kurze Zeit später an den Cafés zu beiden Seiten meines Pfarrhauses einige Mitglieder unserer Gemeinde ein von ihnen angefertigtes Schild „Verboten für Juden“ anbrachten, habe ich aus Protest gegen diese feige Form des
Mit-den-Wölfen-Heulens ein Schild vor mein Fenster, in dem ich regelmäßig Ankündigungen mache, gestellt, auf dem zu lesen stand: „Jede Rasse willkommen“. Meine Nachbarn haben mich verstanden, und ihre Schilder waren schon einige Stunden später verschwunden.

Ein paar Wochen später erschien ein Auto der deutschen Feldpolizei. Die beiden Insassen verhielten sich unzivilisiert und verlangten von mir, obwohl sie selbst dicht daneben standen, das Schild zu entfernen und es ihnen zu übergeben. Ich fragte: Warum? Sie behaupteten, das Schild richte sich gegen die Deutschen und stelle eine Straftat dar. Ich sagte, dass es das nicht sei, sondern nur unsere christliche Berufung für alle Menschen widerspiegele, deshalb könne ich es auch nicht wegnehmen, denn damit würde ich eine Schuld eingestehen, derer ich mir überhaupt nicht bewusst sei.

Die Folge war, dass sie das Schild mitgenommen haben und ich von der Sicherheitspolizei vorgeladen wurde. Dort habe ich mich auf meine Verantwortung und die Forderungen der Bibel bezogen und unsere Pflicht, das Evangelium allen Sündern zu verkünden, seien sie deutscher, holländischer oder auch jüdischer Rasse. Sie betrachteten mich offenbar als einen der Irrenanstalt entlaufenen halben Schwachkopf und spotteten darüber, dass ich mich auf die Bibel berief. Ich bin weder gehässig noch scharf aufgetreten, denn glücklicherweise darf ich auch im deutschen Volk noch ein Volk von Gottes Kindern sehen, für das der Heiland ebenfalls sein Blut vergossen hat. Aber gerade deshalb darf ich um seinetwillen auch nicht an der Unterdrückung des jüdischen Volks ohne jede Form der Rechtsprechung mitwirken.

Ich habe Ihnen das mitteilen wollen, weil ich mich dazu verpflichtet fühle. Ich möchte Sie fragen, ob Sie mir noch einige Anweisungen geben können, weil ich in dieser Angelegenheit nicht allein als Privatperson, sondern auch als Pfarrer gehandelt habe. Und als solcher wünsche ich auch, verhört und, wenn es sein muss, verurteilt zu werden. Gott helfe mir.

Mit geschuldeter Hochachtung

Ihr Kollege