Dok. 05-047

Der Juraprofessor Isaak Kisch hält am 26. November 1940 eine Abschiedsrede vor seinen Studenten der Universität Amsterdam

Meine Damen und Herren. Wie Ihnen bekannt ist, werden wir uns nach den

Die Zwangslage der Juden in den von den Deutschen besetzten Gebieten Polens

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
Personen

Isaak Kisch (1905–1980), Jurist; von 1935 an Professor an der Universität Amsterdam, 1940 aufgrund seiner jüdischen Herkunft entlassen, 1941 Mitglied des Jüdischen Rats, überlebte die Deportation nach Theresienstadt; kehrte 1945 auf seine Professur zurück.

 

 

Skript

Flugblatt mit der Mitschrift der Rede

 

[…]

Meine Damen und Herren.

Wie Ihnen bekannt ist, werden wir uns nach den Weihnachtsferien nicht mehr an dieser Stelle sehen. […]

Ich möchte gern über all dies sprechen, weil für mich damit lediglich eine kleine, für Sie aber vielleicht eine große Tragödie verbunden ist. […]

Mit meinem Abgang von dieser Stelle muss ich mich von einer Tätigkeit verabschieden, die mir von Anfang an lieb war und im Laufe von mehr als zehn Jahren immer lieber geworden ist. Das ist ein persönlicher Verlust und deshalb nur eine kleine Tragödie. Es ist ein Verlust, dem ich indessen mit Gelassenheit begegne. Von frühester Jugend an war ich damit vertraut – und deshalb ist eine Zeit wie diese für mich leichter zu ertragen als für viele andere –, dass ein Jude immer und überall damit zu rechnen hat, angesichts politischer oder wirtschaftlicher Erschütterungen aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Seine Kraft und Würde kann er dann ausschließlich aus dem Bewusstsein schöpfen, einer Schicksalsgemeinschaft anzugehören und mit allen seines Stammes verbunden zu sein.

Insofern mache ich mir heute mehr Sorgen um Sie als um mich, denn Ihr Teil wird unter Umständen die größere Tragödie sein. […]

Das niederländische Volk hat über Jahrhunderte hinweg Einflüsse von außen aufgenommen, verarbeitet und sich zu eigen gemacht. Diese Fähigkeit hat sich zum Vorteil aller Ausländer, Flüchtlinge, Juden und eines jeden ausgewirkt, der aufgrund seiner Religion oder Abstammung verfolgt wurde und hier eine Heimat gefunden hat; umgekehrt hat das auch den Wohlstand dieses guten Landes befördert. Es gereicht dem niederländischen Volk zur Ehre, dass es eine derartige Größe auf ethischem Gebiet gezeigt hat, auf dem auch ein kleines Volk groß sein kann.

Inzwischen wird jedoch eine neue Lehre verbreitet: Ein Volk habe nur dann Ehre und sei groß, wenn es fremde Einflüsse abweise.

Ich kann das nicht akzeptieren. Ich habe es allerdings auch leicht, denn man wird mich nicht um meine Zustimmung bitten.

Sie jedoch wird man auffordern und vielleicht sogar in Sie dringen, sich zu dieser neuen Lehre zu bekennen und sie zu verbreiten. Ich bin davon überzeugt, dass sich unter Ihnen viele befinden, die sich dieser Aufforderung widersetzen werden, weil sie sich diesen nobelsten niederländischen Traditionen verbunden fühlen.

Den Kampf darum werden Sie führen müssen; verlieren Sie ihn, werden Sie Ihre große Tragödie erleben.

[…]