Dok. 05-001

Der tschechische Literaturhistoriker Fraenkl bittet Professor Schjelderup am 31. Oktober 1939, ihn bei der Emigration nach Norwegen zu unterstützen


Geehrter Herr Professor, wir sind persönlich nicht bekannt. Aber bei uns

Geehrter Herr Professor, wir sind persönlich nicht bekannt. Aber bei uns

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Grenzen der Oberlandratsbezirke nach der Gebietsreform von 1940 (im Protektorat Böhmen und Mähren)
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Personen

Dr. Pavel Fraenkl (1904–1985), Literaturwissenschaftler; 1930–1939 Bibliothekar in Brünn (Brno), von 1935 an Universitätsdozent; gelangte 1940 nach Norwegen; wurde am 4.8.1942 beim Versuch, nach Schweden zu fliehen, verhaftet und im Lager Grini interniert, am 29.1.1944 Deportation nach Deutschland, im Juni 1944 nach Auschwitz, dort am 27.1.1945 befreit; Aug. 1945 Rückkehr nach Norwegen, von 1950 an Dozent an der Universität Oslo.

 

Dr. Harald Schjelderup (1895–1974), Psychologe; 1922–1928 Professor für Philosophie, danach für Psychologie in Oslo, etablierte in Norwegen die Psychoanalyse nach Freud; von 1933 an unterstützte er Flüchtlinge bei der Einreise nach Norwegen, u.a. Wilhelm Reich; bis zu seiner Verhaftung am 15.10.1943 leitete er eine Widerstandsgruppe an der Universität Oslo; bis zur Befreiung im Lager Grini inhaftiert; 1945–1965 wieder Professor für Psychologie.

Skript

Brief von Dr. Pavel Fraenkl aus Hradec Králové an Professor Harald Schjelderup, Oslo

 

Geehrter Herr Professor,

wir sind persönlich nicht bekannt. Aber bei uns, in dem Kreis der tschechischen Fachpsychologen, kennen wir Ihr Werk.

[…]

Ich bitte Sie um Hilfe. Ich bin ein tschechischer Gelehrter, der wegen dem nichtarischen Ursprunge seiner Vorfahren die ganze Existenz verloren hat. Meinem Fachgebiet nach bin ich Literaturhistoriker, der sich aber meistens den Fragen der sogenannten Literaturpsychologie gewidmet hatte;

[…]

Monate und Monate suche ich einen neuen Posten; ich hatte schon Auswanderungsmöglichkeit. Da kam der Krieg. Viele Länder sind jetzt für mich abgesperrt. Da stehe ich ganz allein. Und kann nicht arbeiten. Und kann nicht leben …

Ich möchte alles, was in meinen Kräften wäre, tun, um der Wissenschaft Ihres Landes, das mit meinem Vaterlande durch lange, geistige und kulturhistorische Beziehungen verbunden ist, nützlich sein zu können.

Deshalb bitte ich Sie aufrichtig: helfen Sie mir! Beraten Sie sich mit Ihren Kollegen, ob an der philosophischen Fakultät der Oslo-Universität nicht eine Stelle, möge sie auch ganz provisorisch sein, für mich zu finden wäre.

[…]

Nur so wäre es mir dann ermöglicht, durch den Centralpasscontrol in Oslo ein Einreisevisum zu bekommen und so auswandern zu können. In meinem Falle: periculum in mora. Ist es Ihnen möglich – dann helfen Sie bald.

Ein Mensch, dessen ganzes Schicksal vollkommen unschuldig zusammengestürzt ist / ich war doch nicht für den Ursprung meiner Vorfahren verantwortlich!! / kommt da zu einem Menschen. Ein geistiger Arbeiter zu einem geistigen Arbeiter.

Alle meine Hoffnungen und Gedanken fliehen nun zu Ihnen. Fliehen nach Norwegen.

Werden Sie dort mein Schicksal entscheiden können?

Ich glaube an Sie, ich glaube an Sie, Professor Harald Schjelderup in Oslo!!

Ihnen und Ihrer Arbeit

aufrichtig und dankbar ergebener