Dok. 04-035

Dawid Sierakowiak beschreibt vom 15. bis 18. November 1939 den antijüdischen Terror in Lodz

Mittwoch, den 15. November, Lodz. Eine Synagoge wurde

Mittwoch, den 15. November, Lodz. Eine Synagoge wurde

Orte
  • Grenze Staatsgrenzen von 1937
  • Grenze Staatsgrenzen und Grenzen der Unionsrepubliken der UdSSR 1938–1941
  • Grenze Deutsch-sowjetische Demarkationslinie im besetzten Polen vom 28. Sept.1939
  • Grenze Grenze zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement
Personen

Dawid Sierakowiak (1924–1943), Schüler; schrieb schon vor dem Sept. 1939 Tagebuch und schilderte in insgesamt sieben Heften das Geschehen in Lodz und im dortigen Getto Litzmannstadt (zwei Hefte gingen 1945 verloren); das Tagebuch endet im April 1943, der Verfasser verstarb ein Vierteljahr später an Tuberkulose.

 

Skript

[…]

Mittwoch, den 15. November, Lodz. Eine Synagoge wurde niedergebrannt. Die barbarischen Methoden zur Zerstörung der Welt zeigen allmählich Wirkung. Für die Beendigung des Terrors hat man angeblich 25 000 000 Zł. gefordert. Die Gemeinde hat das Geld nicht, also hat sie auch nicht bezahlt. Angeblich wurde noch eine andere Synagoge in der Wolborska-Straße angesteckt! Irgendetwas stimmt mit den Deutschen nicht. Seit gestern plündern sie auf schreckliche, chaotische Weise. Sie nehmen alles: Möbel, Kleidung, Unterwäsche, Lebensmittel. Bis morgen müssen Polen und Juden alle Spaten und Spitzhacken abgeben. Heute wurde die Mobilmachung der Lodzer Deutschen zwischen dem 18. und 45. Lebensjahr zum „Selbstschutz“ angeordnet. Die Armee verlässt die Stadt, man weiß nicht, wohin, also muss jemand in der Stadt bleiben. Das werden vor allem wir zu spüren bekommen. Denn es ist schlimmer, mit Lodzer Deutschen zu tun zu haben als mit einem Regiment von Deutschen aus dem Reich. […]

 

Donnerstag, den 16. November, Lodz. Wir kehren ins Mittelalter zurück. Der gelbe Fleck wird wieder Teil der jüdischen Kleidung. Heute ist die Verordnung herausgekommen, dass alle Juden unabhängig von Alter und Geschlecht eine 10 cm breite Binde in „judengelber“ Farbe am rechten Oberarm tragen müssen.
Außerdem dürfen Juden von 5 Uhr nachmittags bis 8 Uhr morgens ihre Wohnungen nicht verlassen. Die Armbinden sind ab Samstag, dem 18., Pflicht, und das Ausgehverbot gilt schon ab heute. Heute hatten wir nur 4 Stunden Unterricht. Ich ging etwas langsamer und legte meinen Weg in 50 Minuten zurück, sodass ich 10 Minuten vor fünf zu Hause angekommen bin. Also wirklich Mittelalter? Gelbe Gefangenenflecken wie im Getto, aber das macht nichts. Wir werden diese Aktion um einer guten und sonnigen Zukunft willen überleben.

 

Freitag, den 17. November, Lodz. In der Stadt herrscht eine bedrückende Stimmung. Es ist schwer, sich an den Gedanken der Brandmarkung zu gewöhnen. Man fürchtet, dass Juden, die den Flecken tragen, angepöbelt und verprügelt werden. Die Armbinden bieten einen ausgezeichneten Anlass für Spott und Belästigung. Ich bin gespannt, wie die Polen sich verhalten werden. Werden sie sich dem deutschen Pöbel anschließen? […]

 

Samstag, den 18. November, Lodz. Heute bin ich den ganzen Tag nicht rausgegangen. […] Wenn Polen Juden mit den Flecken sehen, senken sie den Blick.

[…]