Dok. 03-186

Das Ehepaar Amalie und Paul Malsch berichtet seinem Sohn am 24. Juni 1941 von der Schließung des US-Konsulats in Stuttgart und der damit verhinderten Auswanderung


Meine lieben lieben Kinder! Unsern Brief

Meine lieben lieben Kinder! Unsern Brief

Orte

._._._ Staatsgrenzen von 1937

Personen

Amalie Malsch, geb. Samuel (1889–1942); verheiratet mit dem Handelsvertreter Paul Malsch (1885–1942). Das Ehepaar lebte in Düsseldorf und wurde am 27.10.1941 mit dem ersten Düsseldorfer Transport ins Getto Litzmannstadt (Lodz) deportiert und im Mai 1942 in Kulmhof (Chelmo) ermordet.

 

Wilhelm Malsch, später William Ronald Malsh (1913–1994), einziger Sohn von Amalie und Paul Malsch, emigrierte um die Jahreswende 1935/1936 nach Großbritannien, von dort im Jan. 1937 in die USA.

 

Vermutlich: Siegfried Kluger (*1899), lebte zuletzt in Essen und leitete von 1941 an die Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden; am 10.11.1941 nach Minsk deportiert und dort vermutlich umgekommen.

Skript

Handschriftl. Brief an Wilhelm Malsch und dessen Frau Trude


Meine lieben lieben Kinder! Unsern Brief vom 19. ds, worin wir Euch die Anschrift des Konsulats in Stuttgart mitteilen, habt Ihr wohl inzwischen erhalten. Stuttgart ist ab Donnerstag den 26. ds geschlossen. Wie wir Euch schrieben, war ich zu heute bei dem Hilfsverein hier bestellt. Ich bin trotzdem mal hingegangen. Es ist jetzt ein Herr Kluger aus Essen hier für die hiesige Stelle. Er hatte unsere Akten vorliegen. Wenn nun nichts dazwischengekommen wäre hätten wir Euch ein Kabel gesandt. Also Herr Kluger sah sich unsere Akten durch, er sagte, Frau Malsch, Sie hätten todsicher das Visum bekommen, Trust, Bond, Reise bezahlt alles in Ia Ordnung. Er sagte, ich könnte mir selbst vor den Kopf schlagen Sie waren so nahe dran, der Konsul wollte nur noch mal eine Rückfrage wegen des Herrn Marschütz haben. Es war bei Ihnen alles prima. Jetzt ist leider nichts mehr zu machen, wir müssen abwarten, wie alles kommt. Geliebte Kinder wie mir zu Mute war, könnt Ihr Euch überhaupt gar nicht vorstellen. Sollen wir denn gar nicht zusammenkommen? Es ist doch zu schrecklich, alles und alles geht uns schief. Ihr habt alles nun mit größter Mühe und großen Kosten zusammengebracht, und jetzt war alles umsonst. Es ist einfach nicht auszudenken. Wie sind wir jetzt mit allem wieder zurückgeworfen, vielleicht um Jahre, ob wir dann noch leben, das weiß der l. Gott nur allein. Unser Herzens-Wunsch Euch wiederzusehen, hat uns noch aufrechterhalten, und weiß wie alles noch kommt. Ich bin so niedergeschlagen wie noch nie in meinem Leben, alles ist so hoffnungslos für uns geworden, was haben wir denn sonst noch auf der Welt als Euch. Herr Marschütz schrieb uns dieser Tage, er wird nun mit abreisen, hoffentlich. Was soll man machen, wir müssen alles wagen, wie es kommt, aber das ist ein Schlag für uns, den Ihr Euch nicht denken könnt. Ihr tut mir auch schrecklich leid, ich glaube, ich hätte vor lauter Freude in den ersten Stunden keine Silbe herausbringen können, wenn wir dort angekommen wären. Es hat nicht sollen sein. Bitte gebt uns sofort eine Antwort. Euer letzter Brief war vom 21. Mai, seitdem haben wir nichts mehr von Euch gehört, wir warten täglich auf Post von Euch.

Geliebtes Mäusle. Zu Deinem 28. Geburtstage meine allerherzlichste Gratulation, möge der l. Gott dich weiter behüten und beschützen und Dich segnen, Gesundheit und Glück sei Dir an der Seite deiner lb. Trudi beschieden. Ich kann es in Worten gar nicht sagen, was ich Euch als Mutter alles wünsche. Einen herzhaften Geburtstags-Kuß gebe ich Dir hiermit, Du lb. Trudi, gib ihn Willy für mich. Feiert den Tag ein bißchen. So haben wir bestimmt gehofft, in diesem Jahr bei Euch sein zu können, es hat nicht sollen sein, das Schicksal wollte es anders. Wer weiß, wann wir uns nun wiedersehen, hoffen wir weiter, es ist das einzige noch was wir haben. Wir werden leider immer älter und nicht schöner. Ich kann mir oft gar nicht vorstellen, daß Du nun schon 28 Jahre alt bist. 4 ½ Jahre haben wir Euch nun schon nicht gesehen und wer weiß, wie lange es noch dauert. So meine geliebten Kinder, laßt es Euch weiter recht gut gehen, bleibt gesund und glücklich. Wir müssen abwarten, was weiter kommt und alles hinnehmen und ist es noch zu schwer für uns. Es hat nicht sollen sein, die Freude wäre zu groß für uns gewesen. Grüßt alle Lieben, auch Frau Fraenkel, recht herzlich.

Schreibt recht bald eine Antwort. Seid herzl. gegrüßt und geküßt [Eure] Euch sehr liebende und betrübte Mutter.

 

Meine lieben Kinder. Das ist nun das Ergebnis Eurer Mühe, unseres Hoffens u. Harrens. Wenn nicht ein Wunder geschieht, daß die Regierung dort […] Eltern „auch so“ hereinläßt, dann kann's noch lange dauern! Dir l. Willy zu Deinem Geburtstag beste, herzlichste Glückwünsche, bleib gesund, bleib zu Haus in diesen Zeiten. Viele Grüße u. Küsse Euch beiden in alter Liebe Euer Papa