Dok. 01-169

Beschwerde einer Mutter über die Beteiligung ihres fünfzehnjährigen Sohns an den nächtlichen HJ-Aktionen gegen Münchener Juden (ca. 26. Mai 1935)

Eine Mutter von einem Hitlerjungen, der in den Bann 37 Hörwarthstr.

Eine Mutter von einem Hitlerjungen, der in den Bann 37 Hörwarthstr.

Orte

._._._ Staatsgrenzen von 1937

Skript

Vermerk, undat. und ungez.

 

Eine Aufklärung zum Punkt: Judenbekämpfung.

Eine Mutter von einem Hitlerjungen, der in den Bann 37 Hörwarthstr. eingereiht ist, meldet Folgendes:

In der Nacht vom 11. auf 12. Mai musste ich wegen Unpässlichkeit aufstehen. Es war ½12 Uhr. Als ich in die Küche kam, war mein 15jähriger Bub gerade daran, sich anzukleiden. Auf meine Frage, was er denn tue, sagte er mir, dass sie um 12 Uhr nachts Appell hätten. Die Mutter vermutete einen Traum und wollte ihn wieder ins Bett schicken. Doch er weigerte sich entschieden und pochte auf seine Pflicht. Kurz darauf verliess er die Wohnung und wurde auf der Treppe von einem anderen 14jährigen Burschen erwartet. Ich hörte, wie mein Bub gefragt wurde, ob er denn eine ätzende Farbe bei sich habe. Als der Bub heimgekommen (5 Uhr morgens) fragte ich ihn sofort, was er denn mit einer ätzenden Farbe zu tun hätte. Nach längerem Zögern gestand er mir, dass sie die Schaufenster der Juden bekleben und beschmieren mussten. Es wurden von jedem Trupp, der so ungefähr 500 Mitglieder zählt, die 40 Besten zu dieser Aktion herausgesucht. Um 3 Uhr früh wurden wieder Zettel am Königsplatz frisch gefasst, doch war man mit der Aktion schon so ziemlich fertig. Einige Burschen wurden von der Polizei verhaftet, mussten aber bald wieder freigelassen werden. Anscheinend wurde die Polizei von der Aktion nicht verständigt. Zu meiner ganz großen Überraschung sagte mir mein Bub, dass sie strengen Auftrag hatten, den Eltern vom Appell und der Aktion nichts [zu] sagen. Mein Junge, in seinem kindlichen Unverstand, sagte mir noch freudigen Herzens, dass dies sein schönster Appell gewesen sei. Die Mutter war ob dieser Vorkommnisse sehr empört; denn es wird doch dadurch die Autorität der Eltern vollständig untergraben. Die Kinder werden schon in frühester Jugend jeder Kontrolle der Eltern entzogen und zur Ungesetzlichkeit angeleitet.