Dok. 01-080

Der Vorsitzende der Deutschen Turnerschaft Edmund Neuendorff antwortet Rupert Naumann am 23. September 1933 auf dessen Bedenken, alle Juden aus der Berliner Turnerschaft auszuschließen


Mein lieber Turnbruder Naumann! Ich verstehe vollkommen Deine Not. Ich bin immer völkisch

Mein lieber Turnbruder Naumann! Ich verstehe vollkommen Deine Not. Ich bin immer völkisch

Orte

._._._ Staatsgrenzen von 1937

Personen

Vermutlich: Hans Kantorowitz, auch Kantorowicz (1900–1941), der im November 1941 nach Kowno (Kaunas) deportiert und dort am 25. 11. 1941 erschossen wurde.

 

Alfred Flatow (1869–1942), Sportler und Turnlehrer; von 1887 an Mitglied der Berliner Turnerschaft; 1896 Olympiasieger im Einzel- und Mannschaftsturnen; 1900 stellv. Oberturnwart der BT; 1938 Emigration in die Niederlande, im Oktober 1942 Deportation nach Theresienstadt, dort im Dezember 1942 gestorben.

 

Hans Carl Ladewig (*1886), Rechtsanwalt in Berlin; langjähriger Leiter des Jugendausschusses der Berliner Turnerschaft; verlor 1937 seine Zulassung als Rechtsanwalt und emigrierte 1938 nach Italien.

 

Richtig: Dr. Paul Ferdinand Straßmann (1866–1938), Mediziner; 1900–1933 Inhaber und Direktor der Straßmann Frauenklinik in Berlin; er war jahrzehntelang prominentes Mitglied der Berliner Turnerschaft (BT) und förderte insbesondere den Frauensport; von 1918 an außerordentlicher Professor in Berlin, 1936 wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen; er emigrierte in die Schweiz und nahm sich dort 1938 das Leben.

 

Vermutlich: Dr. Kurt Liebenthal (*1894), Jurist; wurde Ende Juni 1943 nach Auschwitz deportiert und ist dort zuletzt im September 1943 im Häftlingskrankenbau von Buna-Monowitz registriert worden.

 

Sally Ephraim (*1880), von 1907 an wohnhaft in Berlin; Jugendwart in der Berliner Turnerschaft; Mitte Februar 1943 Deportation nach Auschwitz.

Skript

btr.: Arier-§.

Mein lieber Turnbruder Naumann!

Ich verstehe vollkommen Deine Not. Ich bin immer völkisch gewesen, habe vor dem Krieg dem Völkischen Bunde angehört. Und trotzdem bin ich Mensch. Darin geht es mir genau so wie Dir, und ich schäme mich gar nicht, die Liste der Männer, die Du mir aufgezählt hast, mit schmerzlichem Bedauern durchzulesen.

Hans Kantorowicz: Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen, aber ich habe ihn früher als einen frischen, anständigen und feinen Kerl hochgeschätzt. Ich habe nie gehört, dass sein Großvater Jude gewesen ist.

Alfred Flatow: alter Weltturner, ich kenne ihn seit Jahren und habe seine Lebensschicksale verfolgt.

Ladewig: Er hat ja sein Judentum eigentlich nie ganz verleugnet; aber er hat unzweifelhaft seine Verdienste um die DT [Deutsche Turnerschaft].

Paul Strassmann: ich kenne ihn und kenne seine Liebe zur DT.

Kurt Liebenthal, Kurt Simon, Sally Ephraim kenne ich nicht, aber ich kann mir denken, dass nach dem was Du schreibst es Dir schwer genug sein mag, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass sie aus der DT ausgeschlossen werden. Und doch muß es geschehen! Es hilft alles nichts. Drei Dinge sind es, die mich dazu bestimmen, Dir den dringenden Rat zu geben, hier ganz eisern und hart und folgerichtig zu handeln:

Erstens kommt die Rücksicht auf die anderen Juden in Betracht, die ausgeschlossen werden mussten. Wir können schliesslich nicht Juden 1., 2. und 3. Klasse unterscheiden. Im Grunde kann das den Betroffenen selbst am allerwenigsten Recht sein.

Zweitens kommt aber, und das ist die Hauptsache, der deutsche Gedanke für uns in Frage. […] Es ist meine innerlichste Ueberzeugung, so unendlich schwer es einem im Einzelfall sein mag, weil ich durchaus dafür Verständnis habe, dass auch ein Jude ein feiner Mensch sein kann. Aus unserem nationalen öffentlichen Leben muß er aber verschwinden […].

[…]

Wir haben in den Verhandlungen mit dem Deutschen Turnerbund klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht, dass wir alle Juden aus der DT entfernen wollen: Tun wir es in Berlin nicht, dann geht sofort das Geschrei wieder los und wir schaden dann um der paar Juden willen der gesamten DT und ihrem völkischen Ansehen.

Ich fasse zusammen: Mein Rat geht dahin, so schmerzlich es Dir sein mag, halte Dich an die Bestimmungen und schliesse auch die von Dir genannten ehem. Mitglieder aus.

Gut Heil und Heil Hitler!